Erfüllte Zeit

02. 11. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Ich bin die Auferstehung“

(Johannes 11, 17 – 27)

von Hans-Peter Premur

 

 

Der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm hat mit seinem Werk eine ganze Generation geprägt. Auch heute, fast 30 Jahre nach seinem Tod noch erfährt der Leser die zeitlose Gültigkeit seiner Aussagen. In dem Buch „Haben oder Sein“ deckt Fromm zwei grundsätzlich verschiedene Zugänge zum Leben auf. Die gefährliche Grundtendenz der modernen Menschheit ist, die Habenseite überzubewerten. Besitz, Wissen, Macht, Geld und sogar subtile Dinge wie Freundschaft oder Partnerschaft werden allzu schnell vom Haben her gesehen. Ich habe … einen Partner …, einen Freund …. Ich habe einen Schüler oder einen Termin. All dies scheint normal zu klingen, dennoch ist an dieser Denkweise etwas falsch. Wenn das Haben das Sein zu verdrängen beginnt dann werden die Quellen des Lebens systematisch verschüttet. Nach Fromm ist das Sein nicht ein Besitz, sondern ein dynamischer Zustand, ein Prozess, in dem ich mich befinde. Statt: „Ich habe“, sollte ich eher sagen und denken: „Ich bin ein Freund, ein Lehrer, ich bin mit jemandem verabredet.“ Auch wird ein Mensch letztlich nicht von seinem Haben, von seinem Börsenwert beurteilt, sondern nach der Art und Weise wie er - oder sie - eben ist. Nicht der Schein, sondern das Sein ist wichtig.

 

In der Heiligen Schrift ist es Gott selber, der das absolute Sein ist. Ähnliche philosophische Erkenntnisse finden sich zwar im Grunde bei allen Religionen. Dennoch ist es dem zweiten Buch Mose, dem Buch Exodus vorbehalten, uns den Namen Gottes näher zu bringen. Gott offenbart sich im brennenden Dornbusch, dem Mose auf dessen Frage, wie er ihn denn nennen dürfe, mit der Aussage: „Ich bin der Ich bin“. Das ist nicht ein Name wie der der anderen Götter rings um das alte Israel, sondern Gott offenbart sich als Urquelle des Seins selbst.

 

Vor diesem Hintergrund, der allen frommen Juden und erst recht den beiden Schwestern Martha und Maria geläufig war, ist die Aussage Jesu zu verstehen. „Ich bin die Auferstehung“. Entweder ist dies nach altem jüdischem Verständnis eine verdammenswerte Gotteslästerung, dass sich Jesus hier den biblischen Gottesnamen (Ich Bin) aneignet, oder aber dieser Gott ist wirklich anwesend in seiner Person.

 

Die so genannten „Ich bin-Aussagen“ Jesu im Neuen Testament und davon gibt es gar nicht so wenige – man denke nur an die Worte „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ – haben mir immer gezeigt, dass die Kirche immer schon ganz von der Göttlichkeit Jesu überzeugt war. Dies muss aus der zeitlichen Nähe und durch die Erfahrung und den Umgang mit seiner Person her rühren. In seinem Reden und in seinem Tun haben Menschen erkannt, dass sie der Urquelle des Lebens selbst begegnen – „ Ja du bist es!“, sagt Martha und erkennt in ihm Gottes Messias, auf den alle schon lange warten. Sie erkennt in ihm den „Ich bin“ aus dem brennenden Dornbusch des Alten Testaments und sieht die alte Erwartung und Prophezeiung erfüllt. Damit ist, so könnte man sagen, der christliche Glaube geboren. Dieser Jesus ist der Gesalbte, ist der Christus, ist der „Ich bin“.

 

„Glaubst du das?“ fragt Jesus Martha und fragt der Text heute mich und uns alle. „Glaubst du das?“, so hallen die Worte quer durch die Geschichte und treffen uns Heutige mit voller Wucht. In einer Zeit, in der viele Zweifel und wissenschaftliche Erkenntnisse den christlichen Glauben herausfordern.

 

Die Göttlichkeit in Jesus zu erkennen gelingt aber nicht aus der Distanz. Auch ist es zu wenig, wenn ich sage: „Ich habe einen Glauben, denn genau aus diesem Habendenken muss ich herauskommen, um ins Sein zu gelangen und damit in die dynamische Beziehung mit Jesus selbst. Das ist ein wesentlicher Clou im Christsein, dass ich nicht nur die Dinge von der Ferne betrachte oder gar nur mit dem Kopf begreife und mein Herz dabei nicht ergriffen wird. Nur wenn ich mit meinem ganzen Wesen so wie Martha, Maria und auch Lazarus es zeigen, in die volle Beziehung mit Jesus trete, kann ich die essentielle Erfahrung machen, dass ich in Gott bin.