Erfüllte Zeit

16. 11. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis vom anvertrauten Geld“ (Matthäus 25, 14 – 30)

von Michaela Moser

 

 

Wer hat, dem wird gegeben …, wer aber nicht hat, dem wird auch das noch weg genommen. Irritierend klingt der Schluss des heutigen Evangeliums in uns nach. Die Reichen sollen reicher, die Armen noch ärmer werden. Das klingt eher nach einer Beschreibung aktueller Verhältnisse als nach der Weitergabe christlichen Prinzipien. Und wenn wir hören, dass dem Diener, der aus Ängstlichkeit sein Geld vergraben hat, sogar noch vorgeworfen wird, er hätte seine Talente doch besser auf die Bank gebracht, klingt das in Zeiten heutiger Finanzkrisen, von denen der Evangelist freilich nichts wissen konnte, sogar reichlich zynisch.

 

Was will uns dieses Gleichnis also heute sagen? Wo oder wie können wir in diesem Text eine frohe Botschaft finden? In einer anderen Bibelübersetzung beginnt die Geschichte, die wir als Gleichsetzung mit dem Himmelreich kennen, so: "Die Welt Gottes sollt ihr mit der Geschichte von einem Mann vergleichen …". Hier legt bereits die Einleitung eine andere Interpretationsmöglichkeit nahe. Ein Verständnis, das sich möglicherweise erst durch einiges Nachdenken erschließt. Durch ein Nachdenken, das den Geist des Evangelisten genauso in Betracht zieht, wie die Verhältnisse in denen wir heute leben, die Erfahrungen, die wir im Alltag machen und für die wir uns eine Richtungsweisung aus dem Evangelium erhoffen. Vielleicht sollten wir uns also nicht vorschnell zufrieden geben, mit einer ersten, naheliegenden Interpretation.

 

Ich jedenfalls habe große Sympathie für den Diener der Angst hat, das Wenige, das ihm gegeben wurde, auch noch zu verlieren. Zu sehr bin ich geprägt von den Begegnungen mit Menschen, die in Armut leben und von ihren ganz konkreten Sorgen um die nackte Existenz, die es ihnen oft unmöglich macht, die eigenen Talente noch gewinnbringend einzusetzen. Und es scheint mir so gar nicht zum Gott des Evangeliums zu passen, dass ausgerechnet ein solcher Mensch bestraft wird.

 

Wenn wir das Matthäus-Evangelium zur Gänze lesen, fällt auf, wie sehr es dort um Fragen der gerechten Lebensgestaltung geht und um die Botschaft eines Gottes, der sich ganz besonders um die Kleinen und die Schwachen kümmert. Ob es um die Kinder geht, die – wie wir lernen - an erster Stelle in der Rangordnung im Himmel stehen, oder um das verlorene Schaf, das deutlich macht, wie sehr sich Gott um jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns kümmert. Um die Geschichte vom unbarmherzigen Schuldner, die das ganze Gewicht auf Vergebung legt, oder um die Erzählung einer Speisung, die Leben in Fülle für alle verheißt. Immer steht die Sorge um die Geringsten und Bedürftigen als Beschreibung für das Handeln Gottes wohl aber auch als Aufforderung für unser eigenes Tun im Zentrum.

 

Da passt es so gar nicht dazu, das ängstliche Verhalten dessen, der von vornherein schlechter gestellt ist als die andern, abzustrafen und dies dann auch noch mit dem Himmelreich gleichzusetzen. Nein, so müssen wir uns das gute Leben nach Maßgabe all dessen, was wir sonst von der christlichen Botschaft wissen, sicherlich nicht vorstellen.

 

Vielleicht also, ist die "Moral von der Geschicht" eine ganz andere: Vielleicht will sie uns vor allem erzählen, dass es für jene, die mehr Talente und damit auch mehr Möglichkeiten haben, leichter ist, diese Möglichkeiten einzusetzen. Vielleicht will sie uns erklären, warum jene die fast nichts haben, es oft nicht einmal schaffen, das Wenige einzusetzen, und zu versuchen doch noch etwas zu machen aus ihrem Leben. Vielleicht will sie unsere Augen öffnen für die Grausamkeit und Härte einer Realität, in der diejenigen, die wenige Mittel aber viele Sorgen haben, auch noch verstoßen werden. Vielleicht will sie uns sagen, dass uns der Vergleich dieser Geschichte mit der Welt Gottes zeigt, dass es so nicht sein soll.

 

Mag sein, dass diese Auslegung ein wenig ungewöhnlich und gewagt ist. Im Einklang mit der biblischen Botschaft scheint sie mir allemal. Als Ebenbilder Gottes sind wir alle geschaffen und mit verschiedenen Talenten ausgestattet. Wir brauchen nicht alle das gleiche, um gut leben zu können. Eine jede und ein jeder jedoch braucht ausreichend Verwirklichungschancen, und auch die nötige Ermutigung und Unterstützung, um diese gewinnbringend einzusetzen.

 

In Gottes Welt, in dieser Welt, die Gott uns zu gestalten aufgetragen hat, sollen Einzelne weder allein gelassen noch bestraft werden für ihre Ängste. In der Welt, wie Gott sie will, sollen alle die Verwirklichungschancen bekommen, die es braucht, um sich miteinander in die Gesellschaft einzubringen. Da soll keiner zähneknirschend in der Finsternis heulen müssen sondern alle ein Leben in Fülle haben.