Erfüllte Zeit

30. 11. 2008, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Vom Kommen des Menschensohnes“
(Markus 13, 24 – 37)
von Regina Polak

 

Apokalyptische Bilder machen Angst. Täglich sind heute im Fernsehen, im Radio apokalyptische Nachrichten zu sehen und zu hören: Die Finanzmärkte eine globale Katastrophe; die Ökosphäre droht zu kollabieren; Naturkatastrophen löschen tausende Menschenleben aus; Erdöl und Erdgas werden knapp, eine gewaltige Energiekrise kommt auf uns zu. Angst vor einer bedrohten und bedrohlichen Zukunft wird immer mehr die Grundstimmung  moderner Gesellschaften.

Auch in der Welt der Verfasser der neutestamentarischen Schriften kannten Menschen solche verstörenden Ängste vor dem Weltende. Sie drückten sie in zahlreichen apokalyptischen Visionen aus. Auffallend ist jedoch, dass apokalyptische Texte nur mit wenigen Ausnahmen wie z. B. der Offenbarung des Johannes Eingang ins Neue Testament gefunden haben. Die Ängste der Menschen durch Furcht erregende Visionen anzufachen, war und ist offenbar nicht im Sinne der christlichen Botschaft. Kriterium für die Aufnahme apokalyptischer Texte war eines: Stiften sie trotz aller Angst- und Bedrohungsszenarien auch Hoffnung? Das ist nun auch der Sinn apokalyptischer Bilder im Neuen Testament: Die Ängste ernst nehmen, aber zugleich gute Gründe für die Hoffnung nennen. Der christliche Glaube sagt: Trotz aller Bedrohungen, trotz aller Katastrophen ist uns Menschen ein gutes Ende verheißen: Gott wird das letzte Wort haben und alles zum Guten wenden.

Die Schriftstelle zum heutigen Sonntag formuliert eine solche Hoffnung: In den Tagen  nach der großen Not, inmitten totaler Finsternis und der Erschütterung des Himmels selbst wird der Menschensohn erscheinen, der die Menschen retten wird. Der Menschensohn, das ist eine visionäre Erlösergestalt aus dem Buch Daniel, dem Herrschaft, Würde und Königtum gehören, dem alle Völker Nationen und Sprachen dienen. Seine Herrschaft währt ewig und unvergänglich, sein Reich geht niemals unter. Christinnen und Christen haben diesen Menschensohn mit Jesus Christus identifiziert

Wer zu Beginn des Advents diese Textstelle hört, wird daran erinnert, dass sich die Hoffnung auf eine letzte Rettung aus allen Nöten mit Jesus Christus bereits erfüllt hat. Genau darin besteht die befreiende, die frohe Botschaft – und zugleich eine Provokation, die von brisanter Aktualität ist. Denn: Die Apokalypsen, mit denen wir heute tagtäglich konfrontiert sind, sind in ihrer Grundfärbung ohne Hoffnung. In all ihren angestrengten Bemühungen, die Gefahren und Probleme in den Griff zu bekommen und eine bessere Zukunft zu planen, wirken moderne Gesellschaften seltsam resigniert und perspektivenlos. Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist ein rares Gut geworden. Diese Krankheit hat tragischer Weise auch so manche in der Kirche ergriffen. Der Glaube, dass das Böse mit Christus endgültig besiegt ist und Gott bereits begonnen hat, sein Reich zu errichten – heute, in konkreter Gegenwart -  ist in Vergessenheit geraten.

Moderne Gesellschaften sehen in der Zukunft etwas, das sie selbst planen und vorbereiten müssen. Zukunft gilt ihnen als Verlängerung von Vergangenheit und Gegenwart. Zukunft ist Futurum, also das, was nach gestern und heute sein wird. Und selbstverständlich ist an dieser Vorstellung etwas Wahres. Natürlich ist die Zukunft immer auch ein Resultat dessen, was wir gestern entschieden haben und heute tun. Aber für Christen gibt es neben dem Futurum auch den Adventus: Die Zukunft, die uns Gott verheißen hat, und in der er selbst uns in Liebe entgegenkommt und retten möchte. Christen glauben: Das letzte Wort über die Zukunft hat Gott – ER ist der Herr über die Zeit, er entscheidet, wie die Geschichte ausgeht. Wieso Christen das zu sagen wagen: Weil sie seit der Auferstehung Christi wissen, dass Gott das Leben und nicht den Tod will. Weil sie in Christus gesehen haben, wer und wie Gott ist: Dass er seine Versprechen hält und seine Verheißungen erfüllt.

Heute, am ersten Adventsonntag, werden wir wieder daran erinnert, dass wir in größten Ängsten auf die Ankunft Gottes hoffen dürfen. Wie er mit der Geburt Jesu zu uns gekommen ist, wird er wieder kommen, immer wieder kommen. Wer solche Hoffnung riskiert, dem kann Gottes Kraft zuwachsen, sich den Herausforderungen der Zukunft mutig und entschlossen zu stellen. Wer sich auf die Hoffnung auf Gottes Ankunft bei den Menschen einlässt, verfügt über das stärkste Gegengift gegen die apokalyptischen Ängste unserer Zeit.