Erfüllte Zeit

25. 01. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Erstes Auftreten in Galiläa“

(Markus 1, 14 – 20)

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

„Nachdem man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte, verkündete Jesus das Evangelium Gottes“ – so lautet der Anfang des heutigen Bibeltextes. Johannes im Gefängnis – Jesus in der Verkündigung: Der nächste Akt eines Zwei-Personen-Stücks, kurz und lapidar, und doch voll innerer Spannung.

 

Johannes und Jesus: Mit ihnen beginnt der begnadete, wirklich inspirierte Schriftsteller Markus sein „Euangelion“, diese von ihm begründete neue Art von Literatur, von absoluter Welt-Literatur! Schon die Namen sind ein Programm: Johannes, die griechische Form von Jochanan, heißt „JHWH ist gnädig“. Und Jesus, hebräisch Jeschua oder Jehoschua, bedeutet „JHWH rettet“, „JHWH ist Heil“. Der eine, Johannes, tauft mit Wasser, dem Symbol der Reinigung und der Klärung. Der andere, Jesus, wird mit Heiligem Geist getauft, mit jenem Feuer also, das Licht bringt und verwandelt, zunächst ihn selbst und dann die anderen.

 

Johannes und Jesus: Einer, der redet, der ruft, und einer, der zuhört, der lernt. Johannes, der Meister, verkündet „baptisma metanoias“, eine Taufe der Umkehr oder besser des Um-Denkens. Und „metanoeite“ – wie es Markus formuliert – so lautet auch ein Herzwort von Jesus, dem Schüler. Sein erster eigener Imperativ: „Metanoeite“! Kehrt um oder wieder besser: Denkt um, denkt neu!

 

Jesus erhebt seine Stimme aber erst, „nachdem man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte…“ Was Markus hier nur kurz erwähnt, erzählt er dann länger im 6. Kapitel seines Evangeliums. Noch ausführlicher berichtet Flavius Josephus in seinen „Jüdischen Altertümern“: Herodes Antipas, der damalige Landesherr von Galiläa und Peräa, lässt Johannes den Täufer festnehmen und nach Machärus bringen. In dieser Festung im heutigen Jordanien, östlich vom Toten Meer, wird der Täufer später dann auch hingerichtet.

Etwa dreißig Kilometer davon entfernt liegt Betanien, auch „auf der anderen Seite des Jordan, wo“ – wie das Johannes-Evangelium (Joh 1, 28) betontJohannes taufte“. Und tatsächlich: Hier, etwa 6 km nördlich des Toten Meeres, im Wadi Al-Kharrar, haben Archäologen bei Ausgrabungen im Jahr 1996 eine sensationelle Entdeckung gemacht. Sie haben Fundamente gefunden von einer byzantinischen Kirche, die dem Gedächtnis der Taufe Jesu geweiht war. Dem Israel-Touristen wäre natürlich die alte Lokalisierung nahe beim südlichen Ufer des Sees Gennesaret lieber, die sogenannte „Taufstelle der Baptisten“. Heute treten aber immer mehr Experten für die Taufstelle am jordanischen Ostufer des Flusses ein. Auch Johannes Paul II. hat im Rahmen seiner Jordanien-Reise im Jahr 2000 diesen Ort besucht und damit aufgewertet.

 

Diese wieder entdeckte ursprüngliche Taufstelle entspricht auch recht genau der heutigen Bibelstelle: Nachdem man seinen Meister Johannes in Haft genommen hatte, „ging Jesus“ – so der Wortlaut bei Markus – „wieder nach Galiläa“ (Vers 14). Vom Toten Meer den Jordan entlang, flussaufwärts, etwa 100 km nach Norden. Zurück in seine Heimat, an den See Gennesaret.

 

Hier, wo er sich zu Hause fühlt, wird aus dem stillen, bisher schweigenden Jesus ein Redender. Doch nicht didaskein, also „lehren“, steht im griechischen Original, sondern Markus verwendet bewusst keryssein, d.h. „verkündigen“, „predigen“. Während die Lehre Einsicht vermittelt und Wissen, will die Predigt appellieren, sie ruft zu, sie lädt ein. Markus stellt uns Jesus vor als einen, der zu Umkehr und Neubeginn auffordert, der mit neuen Möglichkeiten konfrontiert. Seine Predigt wendet sich primär nicht an den Verstand, sondern an das Herz des Menschen. Weil es das Hör-Organ des Glaubens ist, seine Innenseite, seine sensible Mitte.

 

Eins: „Die Zeit ist erfüllt.“ Zwei: „Das Reich Gottes ist nahe.“ Drei: „Kehrt um!“ Vier: „Und glaubt an das Evangelium!“ Vier kurze Sätze genügen Markus, um die Verkündigung Jesu für seine damaligen Adressaten zusammenzufassen. Vier Striche, die einen klaren Rahmen skizzieren, in dem sich das Evangelium Gottes abbilden, in dem es Farbe und Gestalt gewinnen kann.

 

Und dann, unglaublich einfach und deswegen für mich so faszinierend: Vier Personen, in denen sich Jesu Predigt spiegelt, wie das Licht im Wasser, wie der Himmel im See Gennesaret. Simon und sein Bruder Andreas, Jakobus und sein Bruder Johannes. Verwandte auch in ihrem Beruf – „sie waren nämlich Fischer“ (Vers 16c). Und erst recht verbunden durch ihre Berufung: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Vers 17b). „Sofort rief er sie“, jeweils paarweise, „und sie folgten Jesus nach“. Sofort – eine echte Lieblingsvokabel des Markus! Insgesamt 40mal setzt er dieses verdichtende Wort in seinem Evangelium ein, nicht weniger als 11mal im 1. Kapitel, aus dem unser heutiger Abschnitt stammt.

 

Statt des „sofort“ hat es in meinem eigenen Leben manches Zögern gegeben, ich habe Zeit gebraucht, um zu erfahren: Meine Arbeit mit Religionslehrerinnen in Wien-Strebersdorf und mit angehenden Priestern im Stift Heiligenkreuz – mein Beruf ist mehr und mehr von meiner Berufung durchdrungen worden. Meine Berufung: Für die Bibel und aus ihr zu leben. Behutsam geführte Wendejahre…

 

Ist es Ihnen, liebe Hörerin, ist es Ihnen, lieber Hörer, ähnlich wie mir ergangen – oder hatten sie ein „Damaskus-Erlebnis“ wie Paulus aus Tarsus, Leib und Leben erschütternd?! Seiner Bekehrung oder besser: seiner Berufung gedenken wir ja auch am heutigen Tag.