Erfüllte Zeit

01. 02. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Jesus in der Synagoge von Kafarnaum“ (Markus 1, 21 – 28)

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

Wir sind am Beginn des Markus-Evangeliums, des ältesten der Evangelien, etwa 40 Jahre nach Jesu Tod in dieser Form verfasst. Nachdem Jesus sich von Johannes am Jordan hat taufen lassen, zieht er sich in die Wüste zurück. Für die Menschen der Bibel ist die Wüste der Ort der Erinnerungen und der zurückliegenden Erfahrungen. Die Wüste ist Ort besonderer Gottesnähe ebenso wie besonderer Gottverlassenheit – und vielleicht ist es gar nicht so untypisch, dass diese beiden Erfahrungen so nah beieinander liegen.

 

Erst als Johannes der Täufer ins Gefängnis geworfen wird, kommt Jesus zurück nach Galiläa und „verkündet das Evangelium Gottes“. Er fordert Menschen am See Genezareth auf, ihm nachzufolgen, sie folgen seinem Ruf sofort. Im Markus-Evangelium wird uns schnörkellos und knapp vom Weg Jesu erzählt. Für Markus ist Galiläa die Heimat Jesu, dort beginnt die Verkündigung, dort ist Jesus zuhause. Im heutigen Evangelium überliefert uns Markus einen „typischen“ Tag im Leben Jesu.

 

Es ist Sabbat, Jesus geht in die Synagoge von Kafarnaum, er erläutert die Texte der Tora, der hebräischen Bibel, er tut dies offensichtlich so, dass die Menschen fasziniert sind, sie geraten „außer Fassung“. Dies wird auch dann als Reaktion der Menschen beschrieben, wenn Jesus schockierende Worte spricht oder wenn er machtvolle Taten setzt, wenn er heilt, Dämonen austreibt oder ihm die Naturgewalten gehorchen. Über den Inhalt der Lehre wird nichts gesagt, im Mittelpunkt steht die Exorzismusgeschichte. Der Aufbau der Szene ist klassisch, die Situation folgt dem gewohnten Muster dieser Geschichten: Auftritt des Dämonischen, Abwehrversuch, Austreibungsbefehl, Ausfahrt des Dämons und bestätigende Reaktion der anwesenden Menge.

 

Für mich sind diese Dämonenaustreibungen immer auch ein wenig fremd. Natürlich – wir wissen theologisch, dass sich in den Wundern Jesu die Macht Gottes zeigt. Er wird als der sichtbar, von dem es im Philipperhymnus heißt: Er war Gott gleich… Und dennoch: Es ist eigenwillig und wohl nicht zufällig, dass die Verkündigung Jesus mit einer Dämonenaustreibung beginnt.

 

Der Begriff „Dämon“ ist zuerst in der Ilias des Homer belegt, dort noch neutral verwendet. Es kommt dann zu einer Spaltung zwischen positiver und negativer Komponente, zwischen Engeln und Dämonen. Es finden sich zwei Erklärungsstränge über den Ursprung von Dämonen. Manche sehen sie als Projektionen, als äußerlich sichtbare „Bebilderungen“ innermenschlicher Vorgänge, wie „personifizierte Erfahrungen“ des Menschen, die ihm Angst machen, die unvorhersehbar, unerklärlich, nicht einzuordnen sind. Kräfte der Natur, Krankheiten körperlicher und seelischer Art, Bedrohungen jeder Art – sie können von innen her „dämonisch“ erlebt werden, zerstörerisch, bedrohlich. Die Angst bebildert sich.

Manche sehen Dämonen auch als Faktoren von außen, Gefahren, die von außen auf den Menschen zukommen, die ihn bedrohen. Dies kann auch dazu führen, dass Fremdes, das außerhalb der eigenen Erfahrungswelt steht, als bedrohlich, als feindlich angesehen wird.

 

Jesu erstes Auftreten beinhaltet die Begegnung mit einem solchen „Dämon“, einem „bösen Geist“, einer Kraft, die Angst macht, die zerstörerisch wirkt. Die frohe Botschaft Jesu will den „bösen“, den zerstörerischen Kräften die Macht nehmen. Wir sind mitten in einer schwierigen Frage: Ist das Böse im Menschen? Ist es außerhalb des Menschen? Wie ist das grundsätzlich mit dem Bösen? Im Schöpfungshymnus und im mythischen Schöpfungstext am Beginn der jüdischen Bibel, unseres Alten Testaments wird daran erinnert, dass der Mensch als Bild Gottes in dieser Welt geschaffen ist, dass der Mensch aber aufgrund seiner Freiheit die Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen hat. Und es gibt – wie selbstverständlich – Glück und Leid, Schönes und Grausames, Gelingendes und Bedrohliches auf dieser Welt. Also auch – personifiziert gedacht: Engel und Dämonen. Es gibt, davon geht die Zeit Jesu aus, zerstörerische und helfende Kräfte auf dieser Welt, Mächte, die einen Menschen besetzen können, die einen Menschen einschränken, sogar zerstören können.

 

Wir denken heute vermutlich auch an schwere psychische Erkrankungen, wenn wir diese Beschreibungen der Dämonenaustreibungen lesen. Auch ohne psychische Erkrankungen kennen wir, dass Zerstörerisches einen Menschen besetzen kann, dass uns etwas bedrohen kann, dass uns etwas Angst macht, den Blick einschränkt, uns diese Angst nicht mehr los lässt…

 

Am Beginn des Markus-Evangelium stellt Jesus gleich klar: Die zerstörerischen Kräfte haben keine Macht mehr. Egal, wie diese zerstörerischen Kräfte heißen, ob es sich um Erkrankungen handelt, ob es sich um seelische Belastungen handelt, ob es sich um gesellschaftlich oder politisch destruktive Mächte handelt – die Botschaft Jesu meint: Ende der Angst, Ende der Zerstörung. In der Bibel in gerechter Sprache macht die Übersetzung deutlich: „Jesus bedroht den unreinen Geist: ‚Schweig und gib diese Person frei.’ Da riss der unreine Geist die kranke Person hin und her, kreischte mit lauter Stimme und gab sie frei.“ In dieser Formulierung wird es so deutlich: „Gib die Person frei“ und die zerstörerische Kraft, die Bedrohung, die Angst – was auch immer es genau gibt, diese Kraft gibt die Person frei.