Erfüllte Zeit

08. 02. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

Irgendwie kommen mir die Verse des heutigen Evangeliums unspektakulär entgegen. Jesus ist zusammen mit „Jüngern“, wie wir sie gewöhnlich nennen. Jesus hat Menschen aufgefordert, sich ihm anzuschließen, einige haben das getan, Jakobus und Johannes, Simon und Andreas und andere mehr. Die Schwiegermutter des Simon ist erkrankt – Jesus heilt sie wie viele andere Kranke auch. Er ergreift ihre Hand und „richtet sie auf“, mit diesem Wort wird „Aufstehen“, „Auferstehen“ beschrieben. In den Kunstdarstellungen der orthodoxen Kirche wird Auferstehung oft so dargestellt: Der Auferstandene ergreift die Hand eines Menschen, genauer gesagt das Handgelenk und zieht die Person so aus dem Grab, aus dem Verderben, aus dem Tod. Wenn wir ein Kind fest halten, wenn wir jemanden hochziehen wollen, dann fassen wir diese Person beim Handgelenk - nur so können wir sicher sein, dass wir die Person festhalten und „retten“ können.

 

Jesus fasst die Schwiegermutter des Petrus bei der Hand, damit sie aus der Krankheit heraus aufstehen, auferstehen kann. Und dann wird die Steigerung im Abschnitt offensichtlich. Nach der Szene im Haus, im kleinen Kreis kommen ganz viele Menschen zu Jesus, er soll und wird sie heilen. Mit dem Sonnenuntergang endet der Sabbat, im Jüdischen geht ein Tag vom Abend zum Abend. Vielleicht kennen Sie das auch, dass als Kinder der Montag begonnen hat mit dem Herrichten der Schultasche am Sonntag Abend, oder dass der Sonntag mit dem Glockenläuten und dem Arbeitsende am Samstag Abend begonnen hat. Der Sabbat ist zu Ende, die Menschen können ihre Kranken bringen, und Jesus heilt. Knapp und irgendwie emotionslos wird summarisch von diesen Heilungen erzählt.

 

Die Dämonen, so heißt es, dürfen nicht reden. Hier finden wir das typische „Schweigegebot“ des Markus, bis zum Tod am Kreuz bleibt ein Geheimnis, wer Jesus ist. Wie bei manchem Krimi wissen die Leserinnen und Leser schon mehr als die handelnden Personen, die Jesu Weg mitgehen. Aber, dennoch bleibt befremdlich, dass es immer wieder heißt: Die Dämonen kennen Jesus. Der die Macht hat, Dämonisches zu vertreiben, hat eine besondere Nähe zu diesen Kräften. Heute, in psychischen Prozessen geschult, können wir dies vielleicht so verstehen: Im Erkennen und im Behandeln psychischer Erkrankungen wissen wir heute, dass es auch für die therapeutisch tätigen Personen notwendig ist, sich mit der eigenen Person und ihren Abgründen zu beschäftigen, mit dem Destruktiven, dem Aggressiven, dem Zerstörerischen in sich selbst. Je mehr jemand seine eigenen inneren, auch dunklen Seiten kennt, desto weniger muss diese Person vor den Abgründen anderer erschrecken. Vielleicht war es ein solcher Zusammenhang bei Jesus. Vielleicht war es auch die Macht Jesu, die das Zerstörerische zurückschrecken ließ.

 

Jesus, so heißt es dann im heutigen Text, zieht sich zum Gebet zurück. Die Szene verführt in ihrer Kargheit zum Psychologisieren, der Text selbst gibt uns keinen Hinweis, wieso sich Jesus zurückzieht. Es heißt nur, wie selbstverständlich: Jesus zieht sich an einen einsamen Ort und betet. Ich vermute, es gehört zusammen: Verkündigen und heilen und beten.

 

Es klingt so selbstverständlich, wie „ein typischer Tag“ im Leben Jesu: Jesus heilt und verkündigt und betet. Der Wirkkreis Jesu wächst, vom Haus des Petrus und seiner Frau zur ganzen Stadt und dann bereits ganz Galiläa. Und: Die Jünger verstehen vieles nicht, das wird bis zu Jesu Tod und darüber hinaus so bleiben.

 

Wenn wir die Perspektive wechseln und die Überlieferungen aus dem Blickwinkel der frühen Gemeinde lesen, dann sind ja Christinnen und Christen eingeladen und aufgefordert, Jesus „nachzufolgen“, mit dem eigenen Tun das Wirken Jesu fortzusetzen. Und dann sind wir bei: Heilen, beten, verkündigen. Bis heute sind Christinnen und Christen eingeladen und aufgefordert, wir könnten auch sagen „berufen“ dazu, Menschen frei zu machen von Angst und Bedrohung, Menschen „heil“ zu machen, gesund an Leib und Seele. Christinnen und Christen sind berufen, im Gespräch mit Gott und dem Innersten des Inneren zu sein – oder wie immer Sie für sich „beten“ umschreiben. Und Christinnen und Christen sind bis heute berufen, diese Botschaft weiterzusagen, die bereits – ein paar Verse früher – bei der Taufe am Jordan hörbar wurde: „Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter, über dich freue ich mich.“ Bis heute gilt diese Botschaft: „Du bist geliebt, über dich freue ich mich.“

 

Wir wissen, wenn unser Leben mit diesen Worten beginnt, wenn die ersten Sätze, die wir als Menschen hören, Sätze der Freude und des Wohlwollen sind, wenn uns diese Botschaft eine Kindheit und ein Leben lang begleitet, dann wird das unser Leben prägen. Wir werden weniger von Angst und Neid und Aggression bestimmt sein, die Zuwendung, die wir erleben, wirkt in uns.

 

Das heutige Evangelium überliefert uns - wenig spektakulär, wie die Frohe Botschaft durch Jesus ihren Weg nimmt - heilen und beten und verkündigen. Und vermutlich wird diese Botschaft weiter ihren Weg nehmen, wenn wir das auch in Zukunft tun: Heilen und beten und die Botschaft weitersagen bzw. einander dies immer wieder spüren lassen: „Über dich freue ich mich.“ Vielleicht ist das allein schon heilend, es würde uns zumindest gut tun im Alltag.