Erfüllte Zeit

13. 04. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Emmaus-Jünger“

(Lukas 24, 13 – 35)
von Markus Schlagnitweit

 

 

Da sind zwei Menschen, deren Leben wenige Tage zuvor eine dramatische Wendung genommen hat: Alles, worauf sie für ihr Leben gehofft und gesetzt hatten, ist vernichtet worden. Alles, wovon sie sich eine neue und bessere, eine heilvollere und freiere Zukunft versprochen hatten, ist wie eine Spekulationsblase zerplatzt. Ihr Leben ist in eine Krise geraten. Und nun gehen sie weg aus Jerusalem, weg vom Ort ihrer kühnen Träume, aber auch jener Katastrophe, die diese zerstört hat. Ihr Weggang gleicht einer hilflosen Flucht; der Weg, den sie gehen, führt jedenfalls noch nicht aus der Krise und über sie hinaus.

 

Immerhin: Die Beiden igeln sich nicht ein – jeder für sich in seiner Krisenerfahrung. Kein dumpfes „Scheuklappen auf und durch!“; kein trotziges „Jeder ist sich selbst der Nächste und muss jetzt selbst schauen, wo er bleibt.“ – Nein, sie reden miteinander, tauschen ihre Gedanken aus, teilen einander mit. Das ist schon etwas; aber dennoch treten sie dabei gewissermaßen auf der Stelle. Was sie wenig später diesem rätselhaften Fremden erzählen werden, der sich ihnen anschließt – das macht deutlich: Sehr viel weiter als bis zu einem bloßen Nacherzählen des Geschehenen kommen sie nicht; es bleibt bei einem Zusammentragen, Ordnen und Analysieren der ihnen bislang zugänglichen Fakten. Schlüsse oder gar Konsequenzen daraus zu ziehen, vermögen sie nicht. Ihre Perspektive reicht also für eine geordnete Nacherzählung und Erklärung der Krise; überwinden können sie sie dadurch aber nicht. Denn ihre Gedanken drehen sich um das Vergangene, bleiben gebunden an die Macht des Faktischen und an herkömmliche Deutungsmuster.

 

Damit ihr gemeinsamer Weg „durch die Krise hindurch“ aber zu einem Weg „aus der Krise und über sie hinaus“ werden kann, muss im Sinn des Wortes noch etwas hinzukommen, etwas neues; etwas, das nicht länger im Bannkreis des Geschehenen verhaftet bleibt. – Ein Fremder gesellt sich den beiden Wanderern zu. Im ersten Moment wirkt er seltsam ahnungslos. Aber das muss wohl eine Täuschung sein. Denn unmittelbar nach dem Krisenbericht der beiden Weggefährten, beginnt er ja mit überraschender Klarheit und Überzeugungskraft, das Vorgefallene in einem ganz neuen Licht zu deuten. Und eigentlich sind es bereits seine anfänglich gestellten und geradezu banal wirkenden Fragen, welche diese neue Perspektive anstoßen: „Worüber redet Ihr da eigentlich auf eurem Weg? Was ist denn eigentlich vorgefallen?“ – Diese simplen Fragen fordern dazu heraus, nochmals ganz von vorne zu beginnen und alles neu zu buchstabieren – selbst das vermeintlich und vielleicht allzu Selbstverständliche; selbst das noch niemals Hinterfragte.

 

Aber genau so wird der Boden bereitet für eine neue Sicht der Dinge, für das Offenbarwerden von bislang Verborgenem und für das Erkennen neuer Wege. Am Ende wird es den beiden Wanderern nach Emmaus wie Schuppen von den Augen fallen und sie erneut auf einen Weg führen: Und dieses Mal wird es kein trauriger Weg sein, der von der Krise wegführen möchte und ihr dabei dennoch stets verhaftet bleibt. Nein, der neuerliche Weg zurück nach Jerusalem – zurück und mitten hinein sogar an den Ort der Katastrophe und des vermeintlichen Scheiterns! – dieser Rückweg nach Jerusalem wird zum Weg, der die Krise im Prinzip bereits überwunden hat, weil die Emmaus-Jünger in der Begegnung mit dem Fremden erkennen konnten: Was da in der Katastrophe von Jerusalem vermeintlich vernichtet und verloren worden war, ist gar nicht verloren und tot. Der Grund ihrer Hoffnung lebt weiter – auf andere Weise zwar als erwartet und erträumt, aber stärker und überzeugender denn je zuvor.

 

Sich in einer Krise nicht einigeln und isolieren; vielmehr miteinander ins Gespräch kommen und in offenen Dialog treten; v.a. aber: Dem scheinbar Selbstverständlichen seine Selbstverständlichkeit verweigern und es neu buchstabieren; das noch niemals Hinterfragte bewusst in den Blick nehmen, es kritisch auf seinen Sinn und seine Berechtigung hin befragen und sich davon lösen, wo es dieser Prüfung nicht standhält; und schließlich neue Perspektiven zulassen, nicht krampfhaft alles Bisherige festhalten, sondern sich echten Alternativen öffnen und das bislang Undenkbare für möglich halten: Nur so können neue Wege gefunden und Krisen nachhaltig überwunden werden. Das gilt für persönliche Lebenskrisen genauso wie für die Krisen unserer Gesellschaft, unserer Weltwirtschaft und nicht zuletzt auch unserer Kirche.