Erfüllte Zeit

19. 04. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Beauftragung der Jünger“ (Johannes 20, 19 – 31)

von P. Bernhard Eckerstorfer, Benediktiner im Stift Kremsmünster in Oberösterreich

 

 

Wer ist Jesus? Selbst seinen Jüngern fiel die Antwort schwer, und diese Frage beschäftigt die Menschen seit 2000 Jahren. Wer ist Jesus? Offensichtlich war er ein rechtschaffener Mann: Er ist Ausgestoßenen mit viel Verständnis begegnet, hat Kranke geheilt, sogar Tote auferweckt. Schließlich starb er einen schmählichen Tod, allein gelassen selbst von seinen Freunden. Die Evangelien der Osterzeit verkünden allerdings, dass Jesus Christus mehr war; und sie zeigen, was er heute noch für uns ist. Wir können uns selbst entdecken in den Jüngern des Johannesevangeliums und durch sie ihm begegnen.

 

Aber was für Jünger sind das! Hinter verschlossenen Türen sitzen sie herrenlos da und wissen weder ein noch aus. Sie haben Angst, leiden am jähen Ende der Begegnung mit ihrem Herrn; sie sind dabei, einander und sich selbst zur Hölle zu werden. Bitterkeit kommt hoch; sie schotten sich von der Welt ab und suchen nach den Schuldigen. Als Jesus ein Starprediger und Wunderheiler war, dem die Menschen nachliefen, da wussten sie noch, wer er ist und was sie selbst darstellten. Doch dann die Katastrophe. Wie kann ein Mensch, der so endet, der Erlöser sein? Die Jünger spüren zwar, was mit Jesus geschehen ist, das kann noch nicht alles gewesen sein. Doch die Fakten sprechen mehr als dagegen... Wie wenig begreift dieses verstörte Häuflein noch von Jesus, von sich selbst und von der eigenen Berufung! Wie wenig ahnen die Jünger von dem, was da noch geschehen ist und ihr Leben bereits verändert hat.

 

Die enge und verschlossene Welt der Jünger wird an jenem Sonntag in Jerusalem aufgebrochen. Plötzlich steht Jesus vor ihnen. Er durchbricht den Mauerring, hinter dem sie sich verschanzt haben und aus dem sie sich mit eigener Kraft nicht mehr befreien können. Und wie kommt Jesus? Nicht mit Getöse und Vorwürfen, moralischen Appellen oder Durchhalteparolen. Unbefangen tritt er ihnen gegenüber: „Friede sei mit euch!” Er will ihnen mehr mitteilen. Er zeigt sich ihnen als der verletzliche Gottessohn, an dem das Kreuz seine Spuren hinterlassen hat. An den Wundmalen erkennen die Jünger ihren Meister, und ihre Angst wird verwandelt: „Da freuten sich die Jünger.” Diese Freude ist mehr als ein bloßes Gefühl des Wohlseins. Sie bedeutet die Erfahrung des Heils, die leibhaftige Begegnung mit Gott.

 

Wer das Unerhörte aber nur vom Hörensagen kennt, für den bleibt es zerbrechlich und fraglich. Wir waren ja nicht dabei, als Jesus den Jüngern erschien - und Thomas auch nicht. ‚Der Gekreuzigte lebt’: Das ist so unglaublich, dass der Zweifel nahe liegt. Thomas will handfeste Beweise. Die Kreuzigung ist sicher, die Auferstehung vielleicht nur ein Gerücht. Warum zeigt sich Jesus denn nicht der ganzen Welt mit durchschlagender Macht?

 

Da tritt Jesus aufs Neue in ihre Mitte: „Friede sei mit euch!” Wieder zeigt er sich nicht als der Unberührbare, dem das Schicksal seiner Gemeinde gleichgültig wäre. Er lädt Thomas ein: Komm! Berühr meine Wunden! Jesus geht auf seine ungläubigen und unglaublichen Bedingungen ein. Das hatte Thomas nicht erwartet. Doch gerade dadurch gehen ihm die Augen auf. Er bleibt nicht mehr am Vordergründigen hängen und muss nicht mehr auf fassbare Tatsachen und auf spektakuläre Begegnung bestehen. Jetzt erkennt er in den menschlichen Gesten Jesus als jemanden, der auf etwas Größeres verweist, das Menschen nicht machen können: „Mein Herr und mein Gott!” Die Reaktion Jesu darauf ist barmherzig und genau. Sein Wort richtet, aber richtet auch auf: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.”

 

Wer ist Jesus? Mehr als ein guter Mensch, der irgendwann die Welt verbessert und rätselhafte Sinnsprüche von sich gegeben hat, dann aber endgültig abgetreten ist. Er wirkt fort und öffnet in einer engen Welt den Weg ins Freie. Er wird nicht der alte Kumpel von früher, der endlich dreinschlägt, sondern bleibt uns letztlich entzogen. Wir werden ihn nicht begreifen, können ihn nicht greifen. Doch gerade darin kommt eine andere Größe und Macht zum Vorschein. Sie übersteigt alles, was wir Menschen, taumelnd zwischen Angst und Gewalt, uns ausmalen können.