Erfüllte Zeit

17. 05. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Weitere Reden Jesu zu seinen Jüngern“ (Johannes 15, 9 – 17)

von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Freunde nennt Jesus seine Jünger und nicht Knechte. Und er sagt ihnen auch warum: Der Knecht führt Befehle aus, aber er weiß im Grunde nicht wozu. Im Gegensatz dazu kennt der Freund die tieferen Absichten seines Freundes. Ihre Beziehung und ihre gemeinsamen Aktivitäten sind von gegenseitigem Einvernehmen geprägt. Sie wissen, worauf es ihnen ankommt, was sie erreichen wollen, was das Ganze soll. Und so tut jeder seinen Teil.

 

Ein Knecht, ein Untertan braucht sich um diesen Blick aufs Ganze nicht zu kümmern, er braucht keine Einsicht in das, was sein Chef tut und will. Er hält sich an seine Anweisungen und macht Dienst nach Vorschrift. Fürs Denken wird er ja nicht bezahlt.

 

Freunde nennt Jesus seine Jünger, weil er ihnen alles weitergegeben hat, was er selbst von Gott, seinem Vater, erfahren hat. Er hat seine Einsicht mit ihnen geteilt, seine besondere Verbundenheit mit Gott, seine Einheit mit dem Vater. Das Wichtigste und Wertvollste, das, was ihn im Kern ausmacht, hat er ihnen mitgeteilt.

Eine Untergebene wird dagegen immer in gewisser Distanz zur Chefin bleiben. Auch wenn sie freundlich miteinander umgehen, geht sie doch das Privatleben, erst recht das Innerste der anderen nichts an. Und selbst das, was sie mitkriegt, wird sie für sich behalten: Eine Chefin, die sich durchschaut glaubt, kann ja unangenehm werden.

 

Betont von der Freundschaft mit Jesus zu reden, mag für manche Menschen einen seltsamen Klang haben nach etwas allzu Kumpelhaftem mit Biertischatmosphäre oder nach dem Kindergarten, in dem die Sympathien oft sprunghaft wechseln. Vielleicht trägt ja auch die Rede vom Geschäftsfreund, vom ersten festen Freund und von der Freundin neben der Ehefrau dazu bei, dass manche zögern, dieses Wort auf ihre Christusbeziehung anzuwenden.

 

Oder fühlen wir uns doch noch immer in der Rolle der Untergebenen eigentlich recht wohl? In der Rolle derer, die berechenbare Regeln einhalten können, ohne sich innerlich engagieren zu müssen. Wer nicht mitdenken muss und sich persönlich heraushalten kann, braucht ja auch keine Verantwortung zu übernehmen. Und kann deswegen auch viel besser über den oder die da oben schimpfen.

 

Wenn da aber Freundschaft im Spiel ist, wenn ich weiß, was dieses oder jenes dem anderen in seiner Tiefe als Person bedeutet, dann bin ich anders gefordert und wohl auch eher bereit, mich auf die Perspektive und die Wünsche des anderen einzulassen. Denn Freundschaft verpflichtet.

 

Jesus spricht davon, dass er sich seine Freunde ausgesucht hat, nicht sie ihn. Die Initiative bleibt bei Jesus. Und er hat einen Auftrag für die Freunde. Er gibt ihnen Weisungen. Freundschaft mit Jesus heißt also nicht, dass wir ihn platt auf unsere Ebene ziehen würden, so als wäre da kein Unterscheid mehr zwischen ihm und uns. Vielmehr ist es die Qualität dieser und anderer echter Freundschaften, dass sie über die Gräben der Verschiedenheit hinweg zu verbinden vermögen. Freundschaft beinhaltet nämlich den Respekt vor dem Anderssein des anderen, und zwar auch dann wenn dieses Anderssein z.B. in einer größeren Entscheidungsmacht besteht.

 

Die Entscheidung für seine Freunde in den Tod zu gehen, stellt Jesus nicht zur Debatte, ebenso wenig wie den Auftrag, dass sie genau so einander lieben und sich an die gegebenen Weisungen halten sollen. Indem er solche, die sich wie Untergebene vorkommen könnten, als Freunde anspricht, gibt Jesus seine Autorität nicht auf. Vielmehr spricht er ihnen zu, dieselbe Einsicht zu haben wie er und ebenso tief involviert zu sein. Als würde er sagen: Verliert das Ganze, in das ich euch eingeweiht habe, nicht aus dem Blick – und haltet euch innerlich nicht heraus. Sonst gelingt die Liebe nicht.

 

Gesagt ist all das in der Abfolge des Johannesevangeliums als Vorbereitung auf Jesu Kreuz und Tod. Wenn ich mein Leben hingebe für die Freunde, so sagt er, dann ist das kein Grund zur Trauer, sondern zur vollkommenen Freude. Und auch wenn ihr den Eindruck haben werdet, es war alles umsonst, dann wisst, dass ich euch dafür ausgesucht habe, dass das bleibt, was ihr an Früchten hervorbringt. Eure Liebe wird nicht vergeblich sein, so wie auch meine Liebe nicht im Tod endet. Vertraut mit mir und so wie ich auf Gott und seine Zusagen.

 

Das heutige Evangelium ist eine große Einladung, uns und Gott mehr zuzutrauen als strenge Gebote; eine große Einladung, uns selber ganz hineinzugeben in das Geliebt-werden durch Jesus Christus und nichts mehr zurückzuhalten; und eine große Zusage, dass wir voll Freude diese Liebe weitergeben können und dass das Früchte bringt, die bleibenden Wert haben. Eine große Einladung, zur Hingabe an diese ungleiche und doch ganz echte Freundschaft.