Erfüllte Zeit

24. 05. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Jesu Rechenschaft vor dem Vater“ (Johannes 17, 6a. 11b – 19)

von Hans Peter Premur

 

 

In der Welt herrscht Mangel. Das erleben wir Tag für Tag. Wir müssen essen und werden wieder hungrig. Wir haben Bedürfnisse und müssen sie immer wieder stillen. Und dieser Mangelkreislauf hört unser ganzes Leben lang nie auf. Aus diesem Grund wurde der Mensch an sich immer wieder als ein Mangelwesen bezeichnet, das eben aus diesem Mangel heraus Motive seines Handelns ableitet. Der Durst nach Leben ist uns scheinbar von Anfang an eingestiftet.

 

Ich habe einmal auf einer Indienreise einen alten Hindumönch getroffen, der mir als Priester folgenden Rat gab. Ich solle in Europa, der Welt des totalen Konsums, nicht gegen diesen Konsumismus predigen, sondern ich sollte die Menschen loben, dass sie überhaupt Sehnsüchte und Begierden haben. Aber ich sollte ihnen als Prediger auch erklären, dass die innersten Sehnsüchte nicht mit materiellen Gütern zu befriedigen sind. Begierde und Durst nach Leben als etwas Gutes also, das man aber letztlich nur mit Gott selbst stillen kann.

 

Diese Begegnung half mir dann später beim Lesen des Johannesevangeliums. Es fiel mir leichter das ewige Klagen über die böse Welt wie wir dies auch im heutigen Text gehört haben anders zu sehen. Nicht die Welt ist so böse oder negativ, sondern wir Menschen sind sozusagen dumm, wenn wir unseren Hunger nach einem Leben in Fülle, nach Ewiggültigem, mit Mangelware aus der Vergänglichkeitswelt stillen wollen.

 

Zur Zeit Jesu und in der damaligen antiken Welt, in die die Evangelien hineinsprechen wollen, wussten viele Menschen mit dem Wort Fülle etwas anzufangen. Pleroma, wie die alten Griechen sie nannten – zu Deutsch eben die Fülle – war der Zustand, der in der göttlichen Welt vorherrschte. Nicht die Entropie der physikalische Wärmetod, oder das Einpendeln auf unterstem Niveau sei das Ziel alles Lebens, sondern das Eintauchens des Mangels in diese jenseitige göttliche Fülle. Die ersten Christen haben über diesen Begriff der Fülle viel nachgedacht und darüber geredet, denn sie hatten in der Begegnung mit dem Auferstandenen eine Erfahrung dieser Fülle schon in diesem Leben mitten in aller Vergänglichkeit gemacht. Der Evangelist Johannes ruft dies schon auf der ersten Seite seiner frohen Botschaft der Welt entgegen. „Aus seiner Fülle haben wir empfangen Gnade über Gnade.“ heißt es dort. In der Begegnung mit Jesus Christus selbst machte er die Erfahrung einer unverbrauchbaren Kraft, unverschleißbar, die sich auch durch den Tod nicht auslöschen lässt und die gleichsam in der Begegnung mit dem auferstandenen Christus ein spirituelles Portal für diese jenseitige Fülle Gottes geworden ist. Durch ihn ist sie eingedrungen in unsere Welt des Mangels.

 

Mitten in den Problemen dieser Welt, die früher einmal weniger Konsumgüter kannte als es heute der Fall ist, spricht das Evangelium zu denjenigen, die offene Ohren haben, damit sie – und so heißt es heute – die Freude in Fülle in sich haben. Das ist für mich die Auswirkung der Menschwerdung, die Inkarnation der jenseitigen Fülle. Das ist für mich Anteilhaben an Gott selbst, der die pure Freude ist. Das ist für mich die Erfahrung des lebendigen Wortes, das mitten in der Mangelwelt alles auf den Kopf stellen kann und das Christen unverbrauchbar, unverschleißbar wie ein Perpetuum Mobile durch die Jahrtausende hindurch bewegt. Auch heute noch.