Erfüllte Zeit

31. 05. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Empfangt den heiligen Geist“  (Johannes 20, 19 – 23)

von Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari, Graz-Seckau

 

 

Am Anfang der Kirche war Pfingsten. Der Heilige Geist verwandelte in Jerusalem die kleine Schar von Zeugen der Auferstehung Jesu Christi in ein Glutnest und schließlich in ein sich rasch über die Erde ausbreitendes Feuer, das seither nie mehr erloschen ist. „Zu Pfingsten in Jerusalem, da ist etwas geschehen“, singt ein schlichtes kleines Lied, das ich bei meinen Besuchen im Religionsunterricht von Volksschulen oft gehört habe. Dahinter steht die Erzählung der neutestamentlichen Apostelgeschichte über das Jerusalemer Pfingstereignis, bei dem sich der Heilige Geist, die Kraft aus der Auferstehung Christi, als begeisternd, als sich ausbreitendes Feuer erwiesen hat.

 

Der Heilige Geist erweist sich im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder als eine solche Quelle von Begeisterung. Das ist freilich kein Dauerzustand, wie ja auch die Verklärung Jesu vor drei seiner Apostel auf dem Berg Tabor kein Dauerzustand gewesen ist.

 

Der Heilige Geist gibt ja nicht nur laute Gaben, die im Sturm, im flackernden Feuer und im tosenden Wasser ihre Symbole haben. Der Geist gibt auch leise, undramatische Gaben wie Geduld, Treue und Kraft zur Bewältigung eines undramatischen Alltags. Symbole für diese leisen Gaben sind der sanfte Windhauch, die stille Glut und das murmelnde Wasser. Der Heilige Geist hält die Kirche zusammen, wie die Seele den Leib zusammenhält. Ja, man kann sagen: Der Geist ist die Seele der Kirche. Die Kirche hat von Jesus Christus her die Gewissheit, dass sie nie als ganze von diesem Geist verlassen werden kann, dass ihr nie „der Geist ausgeht.“ Zwar wird sie auch in manchen ihrer Teile immer wieder müde und gerät in Gefahr, sich den strömenden Quellen des Geistes Gottes zu verschließen. Solchen Durchblutungsstörungen in der Kirche folgen aber immer wieder Schübe neuer Lebenskraft.

 

„Everytime I feel the spirit moving in my heart“ – „Allezeit spüre ich den Geist, den Heiligen Geist, wie er mein Herz bewegt“. So singt ein amerikanisches Gospellied, das viele Jugendliche kennen und gerne singen. Es gibt aber immer wieder auch die gegenteilige Erfahrung. Sie drückt sich aus im Gefühl oder in den Worten „Ich habe keinen Geist“. So sprechen oder empfinden Menschen aller Lebensaltar, wenn sie etwas tun wollen oder sollen, wozu ihnen die Phantasie und die Kraft fehlen: Sie sind dann so etwas wie ein Brunnen mit wenig Wasser und wie ein Ofen ohne Feuer. Wer sich mit diesem Mangel nicht einfach abfindet, der geht auf die Suche nach einem Licht, nach einer Quelle von Geist und Kraft.

 

Dann wird die Sehnsucht nach dem Heiligen Geist wach und bittet inständig um sein Kommen: Veni Creator Spiritus!

 

Diese Bitte hat gegenwärtig eine zusätzliche Aktualität, weil die ganze Zivilgesellschaft von einer Finanz- und Wirtschaftskrise und in deren Gefolge auch von einer Vertrauenskrise erfasst ist. In solchen Zeiten halten Menschen mehr als sonst Ausschau nach einer Kraft, die Flügel gegen eine geistig-geistliche Schwerkraft geben kann. Für Christen ist diese Kraft über alle irdischen psycho-physischen Kräfte hinaus der Heilige Geist. Wasser, Feuer und Wind sind die großen Symbole für sein Wirken, für seine Gaben, an die sich die Christenheit besonders zu Pfingsten erinnern soll.