Erfüllte Zeit

01. 06. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Der Dank Jesu an den Vater und die Seligpreisung der Jünger"

(Lukas 10, 21 - 24)

Kommentar: Egon Kapellari

 

 

Wer am Morgen eines beliebigen Tages die Zeitungen aufschlägt oder abends die Fernsehberichte aus dem In- und Ausland zur Kenntnis nimmt, dem drängen sich meist die bösen Nachrichten besonders auf. Sie machen bewusst, dass die große Welt in der Ferne, aber auch die kleine Welt in der Nähe von Zonen der Geistlosigkeit durchsetzt sind, die drohen, sich auszubreiten. Es erhebt sich dann oft die Frage, ob die ökologische Diagnose, derzufolge auf unserer Erde die Wüste wächst, auch für die geistige Landschaft unseres Planeten zutrifft.

Mit Geistlosigkeit ist hier nicht ein Mangel an Intelligenz gemeint, sondern ein Mangel an Spiritualität. Dieses Wort leitet sich her vom lateinischen Wort für den Geist, auch für den Heiligen Geist. Es lautet „Spiritus“. „Veni, Creator Spiritus“, singt die katholische Kirche seit Jahrhunderten in wichtigen Stunden ihrer Geschichte. So, wenn ein Konzil eröffnet wird. „Komm, Heiliger Geist, kehr bei uns ein“, bedeutet dies in deutscher Übersetzung. Besonders aber bitten die Christen um den Heiligen Geist, wenn geistlose Zustände dazu drängen.

 

Im Lauf der menschlichen Geschichte erhebt sich immer wieder der Ruf nach Geist, die Sehnsucht nach Geist; nach etwas, das mehr ist als bloßer Intellekt; nach etwas, das Flügel gegen eine Schwerkraft geben kann, die lähmend zu Boden zieht; nach einer Kraft in Hirn, Herz und Hand, die stärker ist als Banalität, als Hass und Gier.

 

Karl Marx hat die Religion als den Geist geistloser Zustände bewertet und so abqualifiziert, und er hat ihr Absterben erhofft und nach Kräften betrieben. Weltweit erleben wir heute aber, dass Religion nicht abgestorben, sondern vielfach lebendig ist, freilich nicht nur in edlen, sondern auch in pathologischen Ausprägungen. In  Umkehrung der These von Karl Marx will Religion Geist gegen geistlose Zustände sein und sie ist dies heute in Europa und in Österreich besonders durch das Dasein und Wirken unzähliger glaubhafter Christen und ihrer Gemeinschaften. Sie sind so etwas wie Frischzellen im Gefüge, im Leib der Zivilgesellschaft und im Leib der Kirche. Man übersieht sie oft und bedankt sie nicht. Wenn sie aber plötzlich nicht mehr da wären, dann gäbe es gewaltige Hohlräume im sozialen Gefüge, gäbe es unzählige Verschlechterungen im sozialen, im kulturellen Mikroklima.

 

Solche Christen kommen sich nicht besser vor als andere, aber sie sind jedenfalls stark im Glauben. Es sind Christen, die sehr menschenfreundlich sind, die regelmäßig beten und in der Liturgie auch stellvertretend für alle anderen immer neu vor Gott hintreten. Christen auch, die sich im Glaubenswissen ständig weiterbilden und daher über den Glauben Auskunft geben und missionarisch sein können. Kurz gesagt: Christen, die glaubwürdig sind und daher ernst genommen werden, wenn sie in der Kirche und im öffentlichen Leben das Wort ergreifen für Gott, für Menschen und besonders auch für die Kirche.

 

Eine Nagelprobe für die Vitalität solcher Christen ist aber das Ausmaß ihrer Kraft, Brot zu teilen und auch zu teilen, was im weiteren Sinn dieses Wortes wie Brot ist: also Geld, Zeit und Aufmerksamkeit. Diese Kraft ist eine von den kostbarsten Gaben des Heiligen Geistes.