Erfüllte Zeit

11. 06. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Paschamahl“

(Markus 14, 12 - 16. 22 – 26)

von Gustav Schörghofer

 

 

Die Handlung ist so unscheinbar, dass sie leicht übersehen werden könnte. Eingebettet in die Feier des Paschamahls geschieht etwas, das die Wirklichkeit der Welt radikal verwandelt. Es geschieht still, unmerklich. „Das ist mein Leib“, „Das ist mein Blut“ – wie kann einer so etwas sagen? Und wer ist er, dass er so etwas sagen kann?

 

Die Kirche hat durch zwei Jahrtausende daran festgehalten, dass in den Gestalten von Brot und Wein Jesus Christus leibhaftig gegenwärtig ist. Das Brot ist sein Leib, der Wein ist sein Blut. Viel Nachdenken hat gezeigt, dass sich die Aussage vor der Vernunft verantworten lässt. Sie ist dem Denken zumutbar. Vernünftig erklären, sozusagen mit kühlem Verstand, lässt sich die Sache aber doch nicht. Ich muss sie auf andere Weise verstehen.

 

Seit zweitausend Jahren wird die Botschaft übermittelt. Und sie hört nicht auf, für ihren Empfänger eine Zumutung zu sein.  Was wird mir zugemutet? In der Gegenwart Gottes zu leben. In der Gegenwart eines Gottes, der für mich Mensch wird, der sich für mich hingibt; der sich mir hingibt. Die Gegenwart dieses Gottes bricht in mein Leben ein. Als würde durch die morsche Decke brechend plötzlich der Nachbar aus dem Stockwerk über mir in meinem Wohnzimmer landen. Ist mir das zumutbar? Ist mir dieser in meine Gegenwart abstürzende Gott zumutbar?

 

Aber meine Gegenwart, was ist das denn? Das Vergangene ist unerreichbar vorüber und hält mich fest. Das Zukünftige reißt mich fort, ohne dass es erreichbar wäre. Dazwischen die Gegenwart, ein Nichts zwischen zwei Abgründen. Immer flüchte ich aus ihr in die Vergangenheit und in die Zukunft. Nie komme ich in der Gegenwart an. Sie macht mir Angst. Denn sie ist leer. Alles will weg von ihr, ins Frühere und ins Künftige hinein.

 

Gegenwart wird nur dort erträglich, wo Hingabe geübt wird. In der Kunst, im Fest, im Spiel. In all diesen Bereichen eröffnet die Hingabe einen Raum erfüllter Gegenwart. Ich muss nicht fort, weil ja alles da ist.

 

Unter einer Bedingung: Dass ich den Standpunkt des distanzierten Betrachters aufgebe und mich einlasse auf die Kunst, das Fest, das Spiel. Ich muss mich dem hingeben. Hineinspringen ins Wasser. Ich muss das Andere in mich eingehen lassen, mich von ihm verwandeln lassen. Essen und trinken.

 

So kann ein schöner Zugang zum Geheimnis des heutigen Festes gefunden werden. Es genügt nicht, distanziert dabeizustehen und aus der Ferne zuzuschauen. Und auch die schönste Prozession ist immer noch zuwenig. Das Brot ist zum Essen bestimmt, der Wein will getrunken werden. Leibhaftig soll Christus eingehen in mich. Leibhaftig von mir empfangen werden. Seine Hingabe kann mich selber zur Hingabe verwandeln. Was es bedeutet, in der Gegenwart zu leben, geht mir erst dann richtig auf, wenn die Gegenwart Gottes einbricht in mein Leben. Das geschieht in der Kunst, im Spiel, im Fest. Es geschieht auch mitten im Alltag der Arbeit. Am stillsten, am innigsten, am unscheinbarsten geschieht es in den Gestalten von Brot und Wein. Sich dieser Hingabe anvertrauen. Sich zur Hingabe verwandeln lassen in tausend kleinen Dingen des Alltags, in der Kunst, im Spiel, im Fest.

 

Das Leben in der Gegenwart Gottes üben. Geistesgegenwärtig zu werden. Dazu kann das heutige Fest helfen.