Erfüllte Zeit

05. 07. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Spirituelle trifft die Religiösen – Die Ablehnung Jesu in seiner Heimat“

(Markus 6, 1b – 6)

von Fery Berger

 

 

Jesus ist als Wanderprediger unterwegs. Er kommt mit den Jüngern, die ihn begleiten, in seine Heimatstadt. Sein Name war inzwischen bekannt geworden. Er geht in die Synagoge um zu predigen. Aber seine Landsleute bemerken etwas Neues, sie spüren eine Verwandlung. Sie wundern sich über die starken Zeichen, die durch ihn geschehen. Sie staunen, sie bemerken die Weisheit in seinen Worten.

 

Was ist das, das Staunen erweckt? Ich glaube es ist die spirituelle Dimension Jesu, die hier spürbar wird. Was bedeutet Spiritualität? Das lateinische Wort „Spiritus“ bedeutet Geist. Gemeint ist damit nicht der Intellekt, sondern der Geist Gottes, der Heilige Geist. Spirituelle Menschen schöpfen aus einer Quelle, die lebendiges Wasser gibt. Sie schöpfen aus DER QUELLE. Sie sind eingetaucht in das Kraftfeld Gottes, in den Atem des Lebens. Indem sie ganz in ihrer Mitte leben, leben sie im Geist Gottes. Indem sie ganz im Jetzt leben, ermöglichen sie anderen die Erfahrung der Verwobenheit allen Seins; die Erfahrung, dass nichts Zufall ist. Sie umgibt eine besondere Aura. Eine Energie strömt aus von ihnen. Ihr Reden ist kraftvoll. Sie vermögen andere mit hinein zunehmen in diese Gegenwart des Göttlichen.

 

Ich habe jedes Jahr die Möglichkeit, in einer kleinen Gemeinschaft mit einer Frau Exerzitien zu machen, die weltweit als spirituelle Begleiterin gefragt ist. Aus ihr spricht die Weisheit eines langen reichen Lebens, in dem sie mit vielen spirituellen Traditionen in Berührung gekommen ist. Alle in der Gruppe sind wir immer tief beeindruckt von diesen Tagen. Wenn ich dann heim komme und meiner Frau versuche, davon zu erzählen, dann bemerke ich, dass es nicht die großen neuen Erkenntnisse und Einsichten waren, die mich beeindruckten. Ich bemerke, dass es kaum möglich ist, das Beeindruckende in Worte zu fassen. Es ist die Atmosphäre, die Ausstrahlung dieser Frau; der Geist, der in der Stille spürbar wird. Es ist die Erfahrung, wenn man mit tief spirituellen Menschen in Berührung kommt.

 

Die Menschen staunen über die Predigt Jesu. Aber es  geschieht etwas Eigenartiges; sie lehnen ihn ab. Wie ist es möglich, dass Jesus diese Ablehnung entgegen schlägt? 

Jesus trifft auf seine religiösen Verwandten. Was heißt das? Das lateinische Wort „religio“ bedeutet: Rückbindung. Man glaubt an Gott und dass es etwas Übergeordnetes gibt. Das eigene Leben hat damit einen festen Rahmen. Man ist eingebettet in die eigene religiöse Tradition. An den wichtigen Übergängen des Lebens feiert man religiöse Riten. Man gehört zu einer religiösen Institution, akzeptiert deren Hierarchie. Gebote und klare moralische Vorstellungen prägen das eigene Verhalten. Das Leben hat eine klare Ordnung. Diese gibt Sicherheit. Gut, warum soll gerade Religiosität jetzt der Grund sein, dass seine Verwandten Jesus ablehnen? Dieser war doch zweifellos auch religiös. Er ist voll eingebettet in die jüdische Religion. Er geht in die Synagoge um zu predigen. Religiosität birgt eine große Gefahr in sich. Sie kann versteinern und zu Selbstgerechtigkeit  führen. Aus ihr kann Pflichterfüllung und Routine werden.

 

Es ist schon eigenartig, dass Jesus gerade mit den streng religiösen Menschen seiner Zeit die größten Konflikte und Probleme hatte, den Pharisäern, Sadduzäern und Hohenpriestern. Er hält ihnen wohl einen Spiegel vor, unbewusst fühlen sie ihre Ordnung und ihre Sicherheiten gefährdet. Ein spiritueller Mensch, der sich dem Leben wirklich stellt - auch den eigenen Abgründen -  ist lebendig, innovativ, kritisch und kreativ. Er ist spontan und sorgt oft für Überraschungen. Die religiösen Verwandten Jesu spüren: „Wenn seine Worte stimmen, stimmt womöglich in unserem eigenen Leben nur mehr sehr wenig.“ Sie drängen Jesus geradezu hinaus in die benachbarten Dörfer, um dort zu predigen. So wird er zum Freund der so genannten Fernstehenden, der von der Gesellschaft an den Rand Gedrängten und von der Religion Verurteilten.

 

Religion kann sein wie ein Wasserkrug ohne Wasser; Zierde, Dekor und Behübschung des Lebens; vielleicht gegen außen hin sehr schön. Dann ist der Wasserkrug eine Schale ohne Inhalt. Es fehlt das lebendige Wasser, welches aus der Quelle Gottes kommt.