Erfüllte Zeit

16. 08. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch" (Johannes 6, 51 - 58)

Kommentar: Peter Paul Kaspar

 

 

Vorneweg ein Geständnis: Ich kann diesen Bibeltext nicht lesen, ohne an Menschenfresserei zu denken: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.“ Präziser kann man Kannibalismus nicht mehr beschreiben. Denn der besteht ja gerade darin, dass sich ein Mensch einen anderen einverleibt. Einverleiben – auch dies ein kräftiges Wort: Zwei Leiber werden eins. Verschmelzung. Allerdings eine aggressive Verschmelzung – im Gegensatz zur liebenden Verschmelzung wenn Menschen „Liebe machen“. Auch das ist ein deutliches Wort. Mit einem Menschen liebend zu verschmelzen und einen Menschen auszulöschen – diese beiden Dinge haben miteinander zu tun: Liebe und Tod.

 

Dem Bibelkenner fällt vielleicht auf, dass im Johannesevangelium eine schärfere Wortwahl herrscht, als bei den anderen Evangelisten. Bei ihnen hört sich das ein wenig milder an: „Nehmt hin und esst, das ist mein Leib.“ Bei Johannes ist es provokanter formuliert: „Fleisch essen und Blut trinken“. Im griechischen Text stehen auch tatsächlich verschiedene Verben. Und der Priester sagt, wenn er die Hostie reicht: „Leib Christi!“ Und nicht: „Fleisch Christi!“ Was also gilt – möchte man fragen: Essen wir etwa symbolisch den Leib Christi oder verzehren wir tatsächlich sein Fleisch? Und die hochkomplizierten theologischen Theorien der mittelalterlichen Lehre über die Eucharistie machen es keineswegs leichter: Da ist von Realpräsenz die Rede und von Transsubstantiation, da gibt es sogar die drastische Rede von der „unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers Christi“. Eine karitative Hinrichtung also irgendwie.

 

Manchmal möchte man aus diesen hochintellektuellen Theoriegebilden flüchten und es einfacher haben. Vielleicht in kindlicher Naivität: Lieber Jesus, ich esse dieses Stückchen Brot, wie damals deine Apostel beim letzten Abendmahl – und denk an dich! Sind es nicht eher eitle Gedankenkonstruktionen hochgelehrter Theologen, die da versuchen, mit dem Hirn Gottes zu denken, vergebliche Versuche in Gottes Gedanken zu lesen? Muss man tatsächlich Theologie studiert haben – könnte ein schlicht-katholisches Gemüt sagen – um theologisch korrekt zur Kommunion zu gehen? Und wenn einmal schon auch der Wein mit dem feierlichen Spruch „Blut Christi“ verabreicht wird: Könnte man nicht mit geborgter Naivität denken, dass man jetzt das Glas auf Jesus erhebt, vielleicht auf sein Wohl trinkt? Das macht man ja auch bei einer Geburtstagsfeier.

 

Der Einwand ist vorhersehbar: Man kann doch nicht dieses Sakrament und damit die sakramentale Urszene des Letzten Abendmahles auf ein letztlich triviales Alltagssymbol reduzieren! Die Banalisierung des Heiligen scheint in unserer Welt, in der so Vielen so Weniges heilig ist, ohnehin allzu weit fortgeschritten. Werfen wir nicht das Heilige den Hunden vor, wo doch ohnehin schon so viele Kirchenbesucher gedankenlos zur Kommunion drängen und dort nicht einmal niederknien, sondern in überheblicher Geste die Hand aufhalten? So denken besorgte Traditionschristen unserer Tage. Stoßen nicht ohnehin schon bisher in den Symbolen von Brot und Wein das Erhabene und das Triviale auf banale Weise zusammen? In diesem Fall das Ewige und Göttliche mit dem Vorgang unserer Verdauung? Hätte sich nicht Jesus ein erhabeneres, ein wahrlich erhebendes Zeichen ausdenken können, um die Verbindung des Menschen mit Gott zu vergegenwärtigen?

 

Versuchen wir es einmal andersherum zu sehen: Wenn Gott Mensch wird – wie die Christen sagen – dann begibt sich Gott in die Trivialität des gewöhnlichen Menschseins. Das Göttliche ereignet sich nicht so sehr in der Abgehobenheit großartiger Tempelbauten, sondern in der schlichten Welt des alltäglichen Zusammenlebens. Also in uns, die wir aus Fleisch und Blut sind, in den lebensnotwendigen Dingen wie Essen und Trinken – also in Brot und Wein. Und wenn diese Zeichen keine Heuchelei sind, wenn wir also versuchen, als Christinnen und Christen in der Wahrheit zu leben, dann ereignet sich das Göttliche auch in all dem, womit wir einander beistehen und helfen, verzeihen und trösten – kurz gesagt: Worin wir einander Liebe erweisen. Das reicht vom Säubern des Babypopos bis zur Umarmung der Liebenden.

 

Denn auch als Menschen, die versuchen, christlich zu leben, bleiben wir das, was wir seit jeher sind: Menschen aus Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit unserer Sehnsucht und unseren Enttäuschungen, in der Hoffnung bestärkt und in der Sünde beschämt, unermüdlich in unseren Liebesversuchen und süchtig nach Glück über den Tod hinaus.