Erfüllte Zeit
23. 08. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Spaltung unter den Jüngern“ (Johannes 6,60 – 69)
von Peter Paul Kaspar
Ein Satz aus dem heutigen Evangelium liest sich wie ein Kommentar zu
einer Sonntagspredigt. Man stelle sich einen Kirchenbesucher vor,
der während der Predigt verärgert aufsteht, um die Kirche zu
verlassen und einen an der Tür Stehenden anschnauzt: „Was er sagt,
ist unerträglich. Wer kann das anhören?“ Genau das sagen die Zuhörer
nach einer Predigt Jesu. Einer nach dem anderen steht auf und
verlässt den Prediger. Zu den letzten Verbliebenen sagte er ja dann
auch: „Wollt auch ihr gehen?“ Als Seelsorger denke ich mir: Wenn bei
meiner Predigt Leute davonlaufen – was hoffentlich selten vorkommt –
kann ich mich allerdings kaum auf Jesus berufen. Denn er war
offensichtlich ein Prediger mit großem Zulauf. Aber dieses eine Mal
haben ihn die Hörer ganz demonstrativ verlassen. Und man kann das
gut verstehen. Denn was uns Johannes im sechsten Kapitel seines
Evangeliums zumutet, ist tatsächlich ein starkes Stück:
Die sogenannte Eucharistische Verheißungsrede, in der Jesus in
offensichtlich provokanter Weise sein Fleisch und sein Blut als
Speise und Trank anbietet, folgt in der Bibel dem Bericht über die
Brotvermehrung. Das legt die Vermutung nahe, dass auf diese Weise
zwei Geschichten miteinander verknüpft werden: Ein großer Erfolg und
ein offensichtlicher Misserfolg. Die Brotvermehrung endet damit,
dass die Leute den Wundertäter anhimmeln, ihn für einen Propheten
halten und Höheres mit ihm vorhaben. Seine Reaktion ist aber
irritierend: Als Jesus merkte, dass sie kommen und ihn zum König
ausrufen wollen, flieht er allein auf einen Berg. Erst am anderen
Tag trifft Jesus wieder auf die vielen Menschen, denen er sich
entzogen hatte. Und da setzt er zu jener Rede an, mit der er genau
jene enttäuscht, die er zuvor mit der Brotvermehrung begeistert hat.
Er hat ihnen Brot gegeben – das gefällt ihnen, sie wollen mehr und
immer wieder davon.
Und nun kommt die Provokation: Statt das Erfolgsprogramm der
Brotvermehrungen fortzusetzen, stichelt er: „Ihr sucht mich nicht,
weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten
gegessen habt und satt geworden seid.“ Hier fällt ein wichtiges
Wort: „...weil ihr Zeichen gesehen habt...“ Anders gesagt: Ihr habt
das Zeichen nicht verstanden – es geht um eine andere Art vom Brot.
Geht es euch nur um den Hunger des Magens? Ist euer Gott der Bauch?
Und nun die Provokation: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir
kommt, wird nie mehr hungern und wer an mich glaubt, wird nie mehr
Durst haben.“ Von da an spitzt sich der Diskurs immer mehr zu – bis
zum Exodus der empörten Zuhörer nach den Worten: „Das Brot, das ich
geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der
Welt.“
An einer anderen Bibelstelle – bei der Versuchung Jesus – wird die
Symbolik des Brotes knapp auf den Punkt gebracht. Das Brot ist ja
ein Grundnahrungsmittel, vielleicht sogar das wichtigste
Lebensmittel. Doch was hilft die beste Ernährung, wenn ein
„Lebensmittel“ ganz anderer Art benötigt wird? Das wird in einem
Dialog deutlich, den an einer anderen Bibelstelle der Satan mit
Jesus führt: „Mach, dass diese Steine Brot werden!“ sagt der
Versucher. Und Jesus antwortet: „Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.“ Aus
dieser Perspektive steht das Brot als seelisches Lebensmittel
stellvertretend für alles, was unser Leben mit Sinn erfüllen kann,
für das, was auch angesichts des Todes nicht zu nichts zerfällt.
Letztlich geht es um das, was den Hunger der Seele stillen kann.
Kehren wir zurück zum Evangelium und dem Streitgespräch Jesu:
Zustimmung und Ablehnung der Zuhörer wechseln in diesem Abschnitt in
solcher Dramatik, dass die Menschen in ihrer Begeisterung Jesus
zuerst zum König machen wollen, um ihn 25 Verse später zu
kritisieren und noch einmal 25 Verse später empört stehen zu lassen.
In ähnlicher Weise wird das im letzten Lebensabschnitt Jesu
vorgeführt: Beim Einzug in Jerusalem wird ihm zugejubelt – kurz
später wird er gemobbt und nach einem getürkten Prozess unter Spott
und Schikanen hingerichtet.
Man hat den Eindruck, dass es dem Evangelisten darum geht, den
Konflikt in seinem Gegensatz zuzuspitzen: Hier die weltliche
Erwartung der Menschen mit ihrem realen Appetit – dort die
spirituelle Hoffnung auf Erlösung. Hier der Hunger nach Brot – dort
der Hunger nach Lebenssinn über den Tod hinaus. Doch vielleicht ist
es zynisch, dem Hungernden die Bibel zu reichen. Dass den Menschen
der leibliche Hunger näher ist, als die spirituelle Bedürftigkeit,
muss nicht verwundern. Es ist zwar scharf formuliert, aber richtig,
dass dem Menschen das Fressen wichtiger ist als die Moral. Aber das
Eine hat mit dem Anderen durchaus zu tun: Wenn schon, dann ist der
ganze Mensch erlösungsbedürftig – mit Leib und Seele, mit allen
Sinnen und ganzem Herzen.
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