Erfüllte Zeit
06. 09. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Heilung eines Taubstummen“
(Markus 7,31 – 37)
von Gerhard Langer
Das heutige Evangelium steht im Kontext einer
Reihe von Heilungs- und Wunderberichten im 7. und 8. Kapitel des
Markus. Jesus treibt einen Dämon aus der Tochter einer
syrophönizischen Frau aus, lässt einen Taubstummen reden und hören,
speist eine riesige Menge am See Genezaret mit nur sieben Broten,
ärgert sich über den Unglauben der Jünger, die Ohren haben, aber
nicht hören und Augen, aber nicht sehen und heilt einen Blinden in
Betsaida.
Sowohl die Zusammenstellung als auch die
symbolhaften Zahlen und die Anklänge an alttestamentliche Ereignisse
lassen diese Texte in einem doppelten Sinne bedeutsam sein. Einmal
zeigen sie uns Jesus als den großen Heiler, den Wundertäter, der
Menschen in ihren körperlichen und sozialen Bedürfnissen auf
direkteste Weise hilft, Behinderungen und Sorgen wegnimmt. Dies
sollte festgehalten werden, ehe man vorschnell die Heilungen und
Wunder Jesu auf eine höhere, symbolische und theologische Ebene
hebt. Ein großer Teil der besonderen Beliebtheit Jesu wird an seinem
konkreten und wirksamen Umgang mit Menschen, in seinen Heilungen und
als Wunder erlebten Taten gelegen haben. Und dennoch ist da auch die
andere Ebene, die hinter den Heilungen und Wundern eine Botschaft
über Jesus und über Gottes Wirken erkennen lässt.
So kontrastiert das heute als Evangelium
gelesene Ereignis vom Taubstummen, dessen Mund sich öffnet und
dessen Ohren wieder hören, die ungläubigen eigenen Jünger, die sich
Sorgen machen um Brot und Versorgung: „Was macht ihr euch darüber
Gedanken, dass ihr kein Brot habt? Begreift und versteht ihr immer
noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt? Habt ihr denn keine Augen,
um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“, fragt Jesus in Mk
8,17f. Der Prophet Jesaja hatte einst die Hoffnung gehegt, dass
einmal ein König kommen würde, der gerecht regiert und dann die
Ohren des Volkes nicht mehr verstopft und die Augen nicht mehr
verklebt wären. Dann gewinnt „das Herz des Unbesonnen Erkenntnis und
Einsicht, die Zunge der Stammelnden redet wieder deutlich und klar“
(Jes 32,4).
Markus schwebt Ähnliches vor. Die wirkliche
Erkenntnis Jesu öffnet die Augen und Ohren. Worin sie aber besteht,
wird besonders im folgenden Kapitel 8 deutlich. Dort heißt es: „Dann
begann er, sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles
erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den
Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei
Tagen werde er auferstehen“ (8,31). Diese Botschaft ist zentral und
fordert mutiges Bekenntnis. Darum lässt Markus Jesus auch weiter
sagen: „Denn wer sich vor dieser treulosen und sündigen Generation
meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der
Menschensohn schämen, wenn er mit den heiligen Engeln in der Hoheit
seines Vaters kommt“. Im Hintergrund steht die Gemeinde, stehen die
Anhänger dieses Jesus von Nazaret, deren Glaube herausgefordert ist
von einer Botschaft, die nicht Ruhm und Erfolg, nicht Macht und Geld
verspricht, sondern das solidarische Leiden, den Spott und die
Missachtung.
Aber die Botschaft ist auch eindeutig. Wer zu
Jesus gehören will, muss gerade das Unbequeme aushalten und die
Machtlosigkeit und das Leiden als zentralen Bestandteil des
Jesusbekenntnisses annehmen. Heute ist das vielleicht noch schwerer
als damals und gerade deswegen lohnt es, das Evangelium als
beständigen Spiegel unseres eigenen Denkens und Handelns immer
wieder zur Hand zu nehmen und uns auf das Wesentliche zu
konzentrieren und Augen und Ohren zu öffnen.
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