Erfüllte Zeit

27. 09. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der fremde Wundertäter und die Warnung vor der Verführung“
(Markus 9, 38 – 43. 45. 47 – 48)
von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Hölle, nie endendes Feuer, ausgerissene Augen, Hände und Füße – der heutige Evangelientext kommt sperrig daher, fast grausig. Keine lieblich-friedlichen Worte über Menschenfreundlichkeit, kein harmloses "Seid-nett-zueinander", sondern ein eher fanatisch anmutender Aufruf zu höchster Radikalität. – In einer Hollywood-Inszenierung müsste der Jesusdarsteller bei diesem Satz brennende Augen haben und in der Stimme einen drohenden Unterton. Und als Zuseherin könnte ich mich dann mit einem leicht schaurigen Gefühl zurücklehnen und über die potentielle Gewalttätigkeit von Religion philosophieren und stolz darauf sein, dass in unserem Kulturkreis derartige Radikalismen längst überwunden sind.  

 

Abgesehen davon, dass dieser Stolz unberechtigt ist, weil die Geschichte zu genüge beweist, dass auch die europäische Aufklärung nicht vor Ausbrüchen fanatischer Barbarei zu schützen vermag, möchte ich mir die Auseinandersetzung mit diesen sperrigen Sätzen im Evangelium nicht so leicht machen. Ich habe mir zur Angewohnheit gemacht, bei biblischen Texten zu fragen: Wo liegt hier die befreiende Botschaft, das, was mich trifft und angeht, was mich weiter bringt, meine Bereitschaft, mich auf Gott und die Menschen einzulassen, fördert? Nicht immer gelingt es, einem bestimmten Satz oder Abschnitt einen solchen Sinn abzugewinnen; manchmal liegt er dann darin, mir klar zu machen, dass ich das heute anders sehe oder sagen würde, dass wir da im Christentum dazugelernt haben.  

 

Dazu gehört für mich z.B. die Überzeugung, dass körperliche Selbstverstümmelung keine Gott wohlgefällige Bußübung ist – auch wenn manche immer noch glauben, dass Schmerzen einen religiösen Wert hätten, dass etwa ein Fasten nur dann "echt" sei, wenn es sehr schwer fällt, oder eine Wallfahrt nur dann "wirksam", wenn man sich dabei Füße oder Knie wund läuft. Ich glaube, dass die Radikalität, von der mir die Sätze aus dem heutigen Evangelium erzählen, etwas anders meint.  

 

Ich lese sie so: Wenn dein Auge, deine Hand, dein Fuß dich verführt, bedrängt, quält – das alles kann das griechische Wort auch heißen, – dann trenn dich davon, denn dein umfassendes Heil ist wichtiger. Was ist es also, das mich heute quält, bedrängt, wegführt von dem, was mir Heil und Leben in Gottes Gegenwart verheißt?  

 

So gefragt, fällt mir zu der Evangelienstelle plötzlich ganz viel ein, sowohl im Blick auf mein eigenes Leben als auch auf Trends und Gewohnheiten in unserer Gesellschaft insgesamt: Etwa die Süchte, die unser Leben bedrängen – und da stehen ja neben den so genannten harten Drogen, auch der Alkohol, der Kaffee, das Nikotin, aber auch zu viel und zu perfektionistische Arbeit, überhaupt übermäßiger Konsum in vielerlei Form. Alles Suchtmittel, die uns wegführen von unseren Wahrnehmungen und unseren Gefühlen, die uns benebeln und unehrlich werden lassen, die unsere Beziehungen stören, uns von anderen wegführen und auch unseren Draht zu Gott ins Abseits drängen. Etwas davon kennt jede und jeder, auch wer noch nie auf Entzug war oder keine Drogenstation von innen kennt. Und viele wissen, wie schwierig, aber auch wie heilsam es ist, sich von dem, was einen da bedrängt, wirklich radikal zu distanzieren: Nicht mehr zu rauchen etwa, oder auch nicht mehr perfekt sein zu wollen. Denn es ist besser für uns, mit weniger Gift im Körper, weniger Erfolg, weniger Konsumgütern in ein erfüllteres Leben zu gelangen, als mit all dem Getriebene zu sein, sei es von Sucht, sei es von Leistungsdruck oder fremden Normen. 

 

Im Blick auf unsere Gesellschaft sehe ich dann noch anderes. Ich sehe z.B. ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit, nach Besitzstandswahrung. Es verführt uns nicht nur zu einer oft fragwürdigen Asylpolitik, sondern vermehrt auch dazu, den solidarischen sozialen Ausgleich in der Gesellschaft in Frage zu stellen. Könnte das heutige Evangelium auch die Aufforderung sein, unser Bedürfnis nach Absicherung auszureißen, weil es besser für uns wäre, ein paar Menschen ohne ausreichenden Asylgrund in unser Land aufzunehmen, als solche abzuweisen, die in ihren Heimatländern tatsächlich in Gefahr sind? Oder weil es besser für uns wäre, mit ein paar so genannten Sozialschmarotzern in einem solidarischen Land zu leben, als mit lauter sogenannten Tüchtigen in der Hölle des neoliberalen Egoismus?  

 

Der erste Teil des heutigen Sonntagsevangeliums scheint mir von einer solchen Haltung der vertrauensvollen Offenheit zu sprechen. Jesus ist hier so ganz und gar nicht eifersüchtig auf die, die sich auf seinen Namen und seine Kraft berufen, aber nicht zum Jüngerkreis gehören. Jesus wacht nicht eifersüchtig über seine Trademark, hat kein Patent auf das von ihm gewirkte Heil angemeldet. Nicht der Gewinn einer möglichst großen Jüngerschar ist sein Erfolgskriterium: Er möchte, dass Gutes für die Menschen geschieht. Jesus ist nicht wichtig, wie seine Aktien stehen. Ihm "genügt", dass Menschen Heilsames erfahren, dass ihnen geholfen wird, nicht dass er als Wunderrabbi die Massen anzieht.  

 

So können nach seinen Worten auch die Lohn von Gott erwarten, die die Jünger Jesu auch nur mit so etwas Einfachem wie einem Glas Wasser unterstützen. Vielleicht ist das für uns angesichts der unabweisbaren Herausforderung zur Radikalität ja auch ein Trost.