Erfüllte Zeit

04. 10. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Von der Ehescheidung“

(Markus 10, 2 – 16)

von Benno Elbs

 

 

„Die Liebe ist der Sinn der Weltgeschichte“, sagt der deutsche Romantiker Novalis. Und dieser Gedanke führt uns in das Zentrum des heutigen Evangeliums. Wieder einmal versuchen die Schriftgelehrten und Theologen, Jesus aufs Glatteis zu führen mit ihrer Frage: „Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?“ Diejenigen, die Jesus eine Falle stellen wollen, kennen sich genau aus. Scheidung und Wiederheirat waren schon zur Zeit des Mose und zur Zeit Jesu ein großes Thema. Die Praxis war sehr bequem für die Männer. Sie konnten mit lächerlichen Gründen eine Frau, wie man so sagt, in die Wüste schicken.

 

Damit sah sich Mose gezwungen, eine Notlösung zu finden, den Scheidungsbrief.

 

Die Frau sollte vor der totalen Willkür des Mannes geschützt werden. Der Sinn lag aber keinesfalls darin, die Scheidung als Ideal darzustellen. Es ist also ganz klar. Jesus billigte die Praxis nicht, eine Frau willkürlich ins wirtschaftliche und soziale Nichts zu entlassen. Und das, während sie selbst keine Möglichkeit hatte, sich von einem Mann zu trennen, egal, wie schlecht und diskriminierend er sie behandelte.

 

Wenn wir diesen Kontext vor Augen haben und das Gespräch der Theologen mit Jesus in diesen Zusammenhang stellen, dann wird deutlich, worum es Jesus geht. Sein Interesse liegt nicht an diesem Gesetz, sondern an der tiefsten Bestimmung des Menschen und an der großartigen Bedeutung der menschlichen Beziehung.

 

„Zwei Menschen, die sich das Sakrament der Ehe spenden, werden ein Fleisch sein“, heißt es. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.

 

Der Gedanke ist berührend. Wenn Gott die Liebe ist, wie kann dann diese Liebe in dieser Welt sichtbar werden für die Menschen, für Sie wie für mich? Gott wirkt durch die Liebe, nur durch Liebe, die Menschen miteinander verbindet. Mann und Frau, kann man also sagen, bilden die Liebe Gottes zum Menschen ab. Ihre Beziehung ist Hingabe und Aufgabe zugleich.

 

In den vielen Gesprächen mit jungen Menschen, die heiraten wollten, die sich dann das Sakrament der Ehe spendeten, ist immer etwas sehr Wertvolles präsent gewesen: Die große Sehnsucht, die Liebe möge fortdauern, die große Sehnsucht und der Wunsch, sich treu zu sein.

 

Es gleicht fast einem Wunder, dass in einer Zeit, in der die Scheidungsziffern rapide steigen, in der viele Paare darüber klagen, sie hätten sich auseinandergelebt oder lebten nur noch nebeneinander her, in einer Zeit des epidemischen Gejammers über scheiternde und qualvolle Ehen, in dieser Zeit gleicht es fast einem Wunder, dass die Sehnsucht nach Dauer, nach Liebe bis ins hohe Alter überlebt, ja so stark und präsent ist. Mich hat die Liebeserklärung des Schriftstellers André Gorz an seine Frau sehr angesprochen. Er schreibt: „Bald wirst du zweiundachtzig sein. Du bist um sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und immer noch bist Du schön, graziös und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe Dich mehr denn je. Kürzlich habe ich mich von Neuem in Dich verliebt, und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere, die einzig die Wärme Deines Körpers an dem meinen auszufüllen vermag“.

 

Sie erlauben, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, dass ich jetzt nicht dem Gejammer der gescheiterten Ehen nachgehe, sondern auch als Psychotherapeut ein paar Gedanken anfüge, wie denn eine Beziehung in diesem Sinn glücken kann.

 

Wichtig scheint mir ein Gönnen. Ein Gönnen dem anderen Menschen: Seine eigene Zeit, seine eigenen Entscheidungen, seine eigenen Wünsche und auch seine eigenen Freundschaften. Wir müssen uns stets bewusst sein, dass jeder Mensch sein Leben mit seinen eigenen Augen sieht.

 

Dann zweitens ein Lassen. Ein freilassender Respekt vor den Gedanken des anderen, die man nicht alle zu wissen braucht. Respekt auch vor den Glaubensvorstellungen, die ganz die eigenen bleiben.

 

Ein dritter Gedanke ist das Bleiben. Bleiben auch in den Dunkelheiten, die über die Seele des anderen ziehen und nicht einfach schnell weggewischt werden können. Ein Bleiben auch an dem Lager, an dem der andere ein Leiden durchzustehen hat.

 

Und ein vierter Gedanke ist das Weitergehen. Auch dann, wenn Ungeschicklichkeit geschehen ist im Leben, ein Versagen, wenn eine Verletzung zurückbleibt. Es ist wichtig, noch am selben Abend die Entfremdung und den Streit zu beenden. In jede Nacht in Frieden gehen.

Das Evangelium heute will uns neu motivieren für das Ideal der menschlichen Beziehung, die ihre Kraft, ihren Ursprung in der Liebe Gottes zu uns Menschen hat.

 

Und bei aller Sehnsucht nach dem Ideal darf nicht vergessen werden: Es gibt das Scheitern. Wir alle sind gefordert, noch viel zu lernen für den barmherzigen und jesuanischen Umgang mit Menschen, deren Beziehungen scheitern.