Erfüllte Zeit

11. 10. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Von Reichtum und Nachfolge“ (Markus 10, 17 – 30)

von Generalvikar Benno Elbs  

 

 

Aufstehen, Pendelzug, vier Stunden Büro oder Fabrik, essen, vier Stunden Arbeit, Pendelzug, wieder essen, abendliche Zerstreuung, schlafen.

Dann wieder aufstehen. Dasselbe von vorne. Immer im gleichen Rhythmus. Es beschreibt das Leben vieler Menschen, notwendig, einengend zugleich. Denn plötzlich, unvermutet vielleicht, steht eines Tages das große „Warum?“ vor allem. Und damit fängt es an.

„Fängt an“ – das ist dabei wichtig. „Der Überdruss ist das Ende eines mechanischen Lebens“, so beschreibt es einer meiner Lieblingsschriftsteller: Albert Camus.

„Der Überdruss ist das Ende eines mechanischen Lebens“.

Er beschreibt den Alltag vieler Menschen. Im Grunde ein Grau in Grau.

 

Manchmal versucht man ein Stück blauen Himmels zu erhaschen oder das Glück in Besitz zu halten. Doch unweigerlich werden wir eines Tages an die große Frage herangeführt, die der junge reiche Mann im heutigen Evangelium an Jesus stellt: „Was macht mein Leben gut?“

Oder, wie er fragt: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ „Die Gebote halten“, wie Jesus sagt, das können wir ja noch akzeptieren, aber die Forderung, den ganzen Besitz herzugeben und an die Armen zu verteilen – das ist unmöglich, das ist nicht zu schaffen! Wozu dann die vergangene Mühe der täglichen Gleichförmigkeit. Arbeiten, schlafen - schlafen, arbeiten?

 

Dass es nicht einfach ist, alles hinter sich zu lassen, räumt Jesus selbst ein: „Eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr“, sagt er, „als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelange“.

Und jetzt wird es gefährlich: Eine Tatsache ist doch, dass wir in Österreich eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt haben. Unser Lebensstandard wird von anderen Ländern kaum übertroffen. Sieht es also schlecht aus für das ewige Leben der Österreicherinnen und Österreicher?

 

Spätestens, wenn wir auf das Ende unseres Lebens blicken, ganz real, im Sterben, dann wird etwas oft furchtbar bedrückend, doch zugleich hoffnungsvoll deutlich: Im Leben geht es um das radikale Loslassen. Ein Loslassen, das wir bereits im Leben selbst spüren. Wir orientieren uns stets nach vorne gerichtet. Lassen aber auch jeden Tag hinter uns. Nehmen zugleich also immer wieder Abschied.

Die Frage Jesu an uns ist doch: Was muss ich persönlich loslassen? Was muss ich in seinem Sinn verschenken, damit mein Leben gut wird, damit ich einen bleibenden Schatz im Himmel gewinnen kann, wie es heißt.

 

Wir kommen an der Radikalität der Forderung Jesu im heutigen Evangelium, alles den Armen zu geben, nicht vorbei. Das heißt, etwas von dem, das wir durch unsere Arbeit gewinnen, wieder herzugeben. Vielleicht auch uns ein Stück weit einem anderen zu schenken. Eine Kleinigkeit. Dadurch erst wird deutlich, dass es im Leben ein stetes Wachsen in der Gottes- und Nächstenliebe gibt. Ganz real. Nachfolge im biblischen Sinn bezeichnet immer einen bestimmten Menschen in einer bestimmten Situation. Nachfolge Jesu hat immer einen konkreten Platz in meiner Lebensgeschichte, in meiner Lebensbiographie. Mein ganzes Leben ist ein Weg, den nur ich gehe.

 

Vielleicht sind es drei Grundgedanken, die zu einer Haltung des Loslassens, des Verschenkens führen können. Zum einen die Dankbarkeit. Dankbarkeit führt uns in das Geheimnis, das wir Gott nennen. Ein dankbarer Mensch weiß, dass er alles in seinem Leben geschenkt bekommen hat: Die Liebe, die Freude, die berufliche Ausbildung, das berufliche Glück. Dankbarkeit.

 

Ein zweiter Gedanke ist die Aufmerksamkeit. Die Achtsamkeit für das Alltägliche. An der Straße unseres Lebens liegen viele Geschenke, gerne und all zu oft übersehen: Ein Lächeln eines Menschen, ein herrlicher Herbsttag, ein Sonntag mit Verwandten und Freunden, ein Spaziergang. Achtsamkeit.

 

Und der dritte Gedanke ist das Herzensgebet: Das Gebet, das Mönche seit Jahrtausenden immer wieder pflegen, im ständigen Suchen der Verbindung zu Gott. Mein Herr und mein Gott!

Durch das kurze Stoßgebet in der Lektüre eines schönen Textes beim Lesen der Heiligen Schrift vielleicht. Herzensgebet.

 

Diese drei Grundhaltungen, die Dankbarkeit, die Achtsamkeit und Aufmerksamkeit sowie die Haltung des Herzensgebetes führen uns zur Freiheit, die uns das Schenken lehrt.

 

Am Ende ist es so: Abschied, Loslassen – das kann unsere Herzen brechen. Abschied, Loslassen, das kann unsere Herzen auch aufbrechen. Dankbarkeit, die Freude am Augenblick, der mir geschenkt ist, macht mein Leben reich und sinnvoll. Freude und Freiheit, das schließlich führt in die Haltung des Gebens.

Ein Weg, der ins ewige Leben führt.