Erfüllte Zeit

18. 10. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Vom Herrschen und vom Dienen“ (Markus 10, 35 – 45)

von Nikolaus Krasa

 

 

Wie konnte es nur so weit kommen? Vielleicht kennen Sie das aus eigener Erfahrung. Da bricht urplötzlich ein Konflikt aus, zwischen Menschen, die sich gerne gehabt haben, und plötzlich wollen beide voneinander nichts mehr wissen. Und man beginnt nachzudenken, über den Konflikt, über die Vorgeschichte und langsam wird klar: Eben weil es eine Vorgeschichte gegeben hat, kleine Verletzungen, Missverständnisse, unbeachtete Konflikte, eben weil es diese Vorgeschichte gegeben hat, deshalb ist der Konflikt plötzlich so eskaliert. 

 

Konflikte, Auseinandersetzungen, Missverständnisse haben ihre Vorgeschichten. Nicht nur heute, genauso vor 2000 Jahren in der Jüngergemeinschaft und vermutlich auch in der jungen Kirche, sonst hätte Markus nicht so akribisch die Jüngergeschichte als Konfliktgeschichte gezeichnet. Zwei Konflikte werden im heutigen Evangelium sichtbar. Einmal einer, der von Jesus mit Nichtwissen entschuldigt wird. „Ihr wisst nicht, worum ihr bittet“, sagt er den Zebedäussöhnen Jakobus und Johannes. Die wollten sich ja im Voraus die besten Plätze zur Rechten und zur Linken des Chefs reservieren. Und dann der Konflikt zwischen diesen beiden Jüngern, Jakobus und Johannes, und dem Rest der Jüngergemeinschaft. Sie werden ärgerlich, weil sie vermutlich das selbe Anliegen haben, und ihnen Jakobus und Johannes jetzt zuvorgekommen sind.

 

Wie gesagt: Konflikte haben ihre Vorgeschichte und es ist gerade Markus, der diese Vorgeschichte geradezu akribisch schildert. Sein Aufhänger, sein roter Faden ist dabei die einzige Predigt, die Jesus im Evangelium wiederholt, sogar zweimal. Drei Mal also, wenn sie mitgerechnet haben, drei Mal innerhalb kürzester Zeit legt Jesus den Jüngern das Ziel seines Wegs vor: Jerusalem, das Leiden, seine Auferstehung. Mit dieser dreimaligen Predigt ist auch eine geographische Veränderung verbunden: Das scheinbar ziellose Wandern durch Galiläa und seine nördlichen Nachbarländer ist vorbei. Der Weg Jesu wendet sich nach Jerusalem. Und: Es hat sich atmosphärisch etwas geändert. Die Massen folgen Jesus nicht mehr nach. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit den Autoritäten seines Volkes. Zusammengefasst: Man hat den Eindruck, dass es jetzt ums Ganze geht. Auf die Entscheidung zu. Und Jesus wird nicht müde (sie wissen schon, drei Mal), dieses „Ganze“, diese „Entscheidung“ zu betonen: Ziel ist sein Tod und seine Auferstehung in Jerusalem.

 

Mit dieser dreimaligen Predigt Jesu von seinem Ende und Anfang in Jerusalem korrespondiert im Markusevangelium die Schilderung der Jünger. Besser: Die Schilderung der Unfähigkeit der Jünger damit zurecht zu kommen, was Jesus ihnen da als Weg vorlegt. Denn: Jüngerschicksal und Jesusweg sind eng verbunden, die Jünger sind mit Jesus unterwegs, auf seinem Weg. Auch wenn sich die Jünger dagegen wehren, ihm so nicht nachfolgen wollen. So korrespondiert mit der Vorgeschichte der Predigt Jesu die Vorgeschichte der Reaktion der Jünger. Auf die erste Leidensankündigung war es Petrus, der laut dagegen protestierte, so nicht, und dafür eine rüde Zurechtweisung erhielt: „Hinter mich, Satan“. Nach der zweiten Leidensankündigung streiten die Jünger, wer denn unter ihnen der Größte ist. Und jetzt, nach der dritten, sind es zwei Brüder, die sich nochmals vorweg schnell die besten Plätze reservieren wollen. Die Grundtendenz wird klar: Wenn man schon mit dem Messias unterwegs ist, dann muss man das für die zukünftige Karriere nutzen. Vereinfacht: Obwohl die Jüngergemeinschaft äußerlich noch mit Jesus unterwegs ist, ist sie es von ihrer inneren Motivation her nicht.

 

Sie merken also, wie sehr die Vorgeschichte den heute im Evangelium aufbrechenden Konflikt prägt: Das Leben der Jünger soll sich am Leben Jesu orientieren, und der lebt sein Leben als Dienst, als Hingabe für die Menschen. Das heißt für die Jünger: Die Werte und Haltungen in der Jüngergemeinschaft sollen die in der Welt üblichen Machtstrukturen sozusagen auf den Kopf stellen. Kurzgesagt: Wer dient, ist der Chef, weil der Chef dient. 

 

Die dritte Predigt Jesu, die dritte Ankündigung seines Leidens (übrigens knapp bevor die beiden Jünger ihre Frage stellen), unterscheidet sich in einem kleinen Detail von ihren Vorgängerinnen: Jesus beginnt sie mit „Wir“, „wir gehen jetzt nach Jerusalem“. Mit diesem Wir spricht er wohl auch uns an: Was heißt das für uns, für unseren Lebensweg, an diesem Weg Jesu Maß zu nehmen?