Erfüllte Zeit

25. 10. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Heilung eines Blinden bei Jericho“ (Markus 10, 46 – 52)

von Nikolaus Krasa

 

 

Was wäre wenn - wenn ich Sie hören könnte, wenn sie aufmerksam zugehört haben, wenn sie versucht haben, das heutige Evangelium so zu hören, als hörten sie es das erste Mal. Wenn das alles wäre, dann müsste ich jetzt eigentlich einen lauten Protest hören. Denn das Verhalten, das Jesus hier an den Tag legt, ist alles andere als behindertenfreundlich. Stellen Sie sich die Szenerie einmal bildlich vor. Wir sind am Ortsausgang von Jericho, auf der Hauptstraße, die Oasenstadt mit Jerusalem verbindet. Das Paschafest ist nahe. Viele Menschen machen sich auf den Weg zum Tempel, um dort zu feiern. Rund um das Stadttor ist vermutlich einiges los. Zusätzlich zu den Pilgern die Bettler, die an diesem strategisch günstigen Ort Aufstellung genommen haben, dann die Zollbeamten, Leute aus Jericho, kurzum wahrscheinlich ein ziemliches Tohuwabohu. Mitten drin ein Blinder, der sich bemüht, lauter zu schreien, als die Bettler und Händler rund um ihn herum. Und Jesus? Erstens hört er nicht gleich, der Blinde muss noch ein Scherflein zulegen, zweitens geht er nicht auf den Blinden zu, als er ihn hört, sondern lässt den vermutlich mühevoll und stolpernd den Weg durch die Menge zu ihm finden, um ihn schließlich noch mit der ohnehin evidenten Frage zu quälen: „Was willst du, dass ich für dich tue?“ 

 

Das wäre doch viel einfacher gegangen? Jesus sieht den Blinden, geht auf ihn zu, heilt ihn. Er hätte dem Behinderten viel erspart. Richtig: Er hätte ihm viel erspart. Allerdings hätte er ihm gleichzeitig die entscheidende Erfahrung vorenthalten. Jene Erfahrung, die nach der Erzählung des Markus eng mit der Heilung verbunden ist. Welche Erfahrung? Markus sagt es am Ende des Evangeliums klar: „...und sogleich konnte er wieder sehen und er folgte Jesus auf seinem Weg“. „Er folgte Jesus auf seinem Weg“, das ist der entscheidende Punkt, so etwas wie das Leitmotiv des heutigen Evangeliums: Jesus wurde im ersten Vers vorgestellt, als er unterwegs ist, Jericho verlassend, nach Jerusalem. Auf diesem Weg, fügt Markus hinzu, sitzt Bartimäus. Dieser Bartimäus wiederum macht sich dann auf den Weg auf Jesus zu, um schließlich mit Jesus unterwegs zu sein. Zwei Wege verbinden sich also. Der Weg des Bartimäus und der Weg Jesu und seiner Jüngergemeinschaft. 

 

Der Weg Jesu und seiner Jünger. Das entscheidende Stichwort für das heutige Evangelium. Das Leitmotiv, die Pointe. Mehr noch: Ein Leitmotiv, eine Pointe mit Vor- und Nachgeschichte. Nachdem er Jericho verlässt, macht sich Jesus auf den Weg nach Jerusalem, auf seinen letzten Weg also. Entscheidender noch ist der Weg davor. Von ihm hat Markus sehr intensiv berichtet. Pointiert gesagt, davon, dass Jesus dreimal sehr klar seinen Jüngern sagt, wo‘s lang geht, auf diesem Weg, nach Jerusalem, ins Leiden und zur Auferstehung, und davon, dass die Jünger die ärgsten Probleme haben, den Weg mitzugehen - nicht äußerlich, sondern von ihrer inneren Einstellung. Sie wollen Jesus von diesem Weg abbringen, schnapsen sich untereinander die besten Plätze aus, wollen sich Ehrenplätze vorreservieren. Sie sind innerlich blind für den wahren Weg Jesu.

 

Das Kontrastprogramm liefert Bartimäus. Er nimmt, um die Sprache Jesu zu verwenden, sein Kreuz auf sich, geniert sich nicht, sich laut brüllend und stolpernd auf Jesu zu auf den Weg zu machen, lässt sich auch nicht durch die Umstehenden, die ihn zum Schweigen bringen wollen, davon abhalten. 

 

Dem Weg der Jünger stellt Markus den Weg des Jüngers, den Weg des Bartimäus gegenüber. Jünger sein heißt für ihn nicht aufgrund der Nähe zu Jesus besondere Privilegien zu genießen, heißt nicht alles zu wissen. Jünger Sein, heißt sich die eigene Blindheit einzugestehen, zu Jesus zu rufen, ob es nun opportun ist oder nicht, heißt sich stolpernd im Dunkel auf den Weg zu ihm zu machen, heißt sehend geworden ihm auf dem Weg zum Kreuz nachzufolgen.