Erfüllte Zeit

22. 11. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Verhör durch Pilatus“

(Johannes 18, 33b - 37)

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

„Aufzuspüren sind sie nicht, die Christen. Sollten sie aber angezeigt und überführt werden, so sind sie zu bestrafen.“ Nicht an Pontius Pilatus, den Statthalter von Judäa, war dieses wichtige Dokument aus Rom adressiert. Sondern an Plinius den Jüngeren, den Statthalter von Bithynien-Pontus, einer römischen Provinz an der südlichen Schwarzmeerküste. Und das sogenannte Reskript, in dem diese Anweisung steht, stammt von niemand Geringerem als von Kaiser Trajan selbst. Er herrschte über das Imperium Romanum von 98 bis 117 nach Christus. Spätestens unter seiner Regentschaft muss – so die gängige Meinung der Bibelwissenschaft – das Evangelium nach Johannes entstanden sein.

 

Denn der älteste Handschriftenfund aus dem Neuen Testament reicht ganz nahe an diese Zeit heran. Es ist der berühmte P52, ein Papyrus also, das heißt, aus dem Mark der Papyrusstaude gepresstes und beschriebenes Material. Und was mich schon damals, während meines Theologiestudiums in Wien und später in Tübingen fasziniert hat, dieser P52 wird auf das Jahr 125 nach Christus datiert! Dieses Fragment ist somit einer der besten Beweise für eine genauere Datierung des Johannesevangeliums. Warum ich das mit so großer Begeisterung erzähle? Weil dieser kleine Papyrus – er misst etwa 9 mal 6 Zentimeter – weil er Worte aus Johannes 18 enthält, aus den Versen 31 bis 38: also exakt aus dem Text, den wir heute am Christkönigsfest gehört haben!

 

Johannes verfasst das vierte und damit letzte kanonische Evangelium. Seine Darstellung der Passion ist zutiefst aus nachösterlicher Perspektive gestaltet. Dies zeigt sich ganz deutlich schon im Garten Getsemane, als die Soldaten und Gerichtsdiener Jesus suchen und festnehmen wollen. „Als er zu ihnen sagte: ICH BIN es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden“ (Joh 18, 6). Da ist es wieder, dieses „ICH BIN“, „egó eimi“ im griechischen Original, „umwerfend“ im wahrsten Sinn des Wortes. Denn die insgesamt sieben „ICH BIN“-Aussagen Jesu nach Johannes – „das Brot des Lebens“, „das Licht der Welt“, „der gute Hirt“, um nur drei zu nennen – alle diese Bilder finden sich im Alten Testament als Attribute Gottes. Ganz zentral: Die hebräische Deutung des JHWH-Namens im Buch Exodus gibt die Septuaginta wieder mit „egó eimi ho ón“, „ICH BIN der Seiende“. Wenn nun Johannes dieses „JHWH-ICH“ Jesus in den Mund legt, dann lässt er ihn damit sagen: „ICH BIN die Vollendung, ICH BIN die Erfüllung.“

 

Gegen diesen Jesus – Gottes endgültige Selbstoffenbarung – hat Pilatus keine Chance. Der Name des römischen Prokurators ist zwar heute noch im Munde all derer, die das Credo beten. Aber nicht wegen der Größe seiner Leistung oder der Stärke seines Charakters. Sondern einzig und allein wegen der Bedeutung seines Angeklagten.

 

Johannes lässt uns an der Verhandlung teilhaben, die er als Dialog mit Tiefgang inszeniert. In seiner Passion liegt die Pointe auf Rede und Gegenrede, genauer auf dem Selbstzeugnis Jesu. Die hohen theologischen Aussagen werden durch das „Missverstehen“ des Pilatus noch akzentuiert. Missachtung der jüdischen Tradition und Aufwiegelung des Volkes wird Jesus zur Last gelegt. Zum basileús, zum König habe er sich aufspielen wollen: Schon allein vom Titel her wittert Rom Gefahr für den Kaiser. Und den Statthalter bedrängen damit die clever taktierenden Ioudaíoi, „die Juden“, wie Johannes die Gegner pauschal bezeichnet. Die entsprechende Frage des Richters weist Jesus nicht grundsätzlich zurück. „Basileús eimi, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18, 37).

 

„Ich bin ein König“: Das Thema bleibt auch in der weiteren Darstellung der Passion präsent. Nochmals und endgültig bricht es durch in der Inschrift am Kreuz, die Pilatus dreisprachig anbringen lässt. Wir kennen sie alle, meist sogar in der lateinischen Kurzfassung des INRI – „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum“ – „Jesus von Nazaret, König der Juden“. Im Tod Jesu, in der „Erhöhung“ am Kreuz, wie es der vierte Evangelist ausdrückt, wird das Besondere seiner Königswürde sichtbar.

 

„Christkönig“ ist ein relativ junges Fest. Anlässlich des Heiligen Jahres 1925 wurde es in der römisch-katholischen Kirche eingeführt. Papst Pius XI. setzte es zum 1600-Jahr-Gedenken an das Konzil von Nicäa (325) zunächst am letzten Sonntag im Oktober fest. Mitglieder der Katholischen Jugend konnten damit – gegen den Führerkult des Nationalsozialismus – an Prozessionen teilnehmen und sich so gefahrlos von der herrschenden Ideologie abgrenzen. Seit der Liturgiereform des II. Vatikanums feiert man das Fest am letzten Sonntag im Kirchenjahr, also Ende November. Damit ist auch mehr Bezug zum Ewigkeitssonntag geschaffen worden, den unsere evangelischen Glaubensgeschwister heute feiern.