Erfüllte Zeit

20. 12. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Selig, die geglaubt hat – Der Besuch Marias bei Elisabet“ (Lukas 1, 39 - 45)

von Wolfgang Langer

 


Wann gelingt eine Begegnung zwischen  zwei Menschen? Wann wird sie lebendig und ergreift im Inneren? Das hat einige Voraussetzungen. Die beiden müssen offen füreinander sein und  mit gegenseitigem Vertrauen aufeinander zugehen. Sie brauchen durchaus nicht in allem und jedem übereinzustimmen. Unbedingt nötig aber ist der gegenseitige Respekt – auch vor dem Anderssein des anderen.

 

Solche Begegnungen sind alles andere als selbstverständlich und nicht einmal besonders häufig. Im Gegenteil: Sie sind eher selten und deswegen kostbar. Und doch suchen wir sie und sind beglückt, wenn wir sie erleben. Das kann in der Liebe zwischen Mann und Frau ebenso geschehen wie in einer tiefen, über lange Jahre gewachsenen Freundschaft. Sogar in der zweckgerichteten Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt kann derartiges entstehen.

 

In unserem heutigen Text erzählt das Lukasevangelium von der Begegnung zweier Frauen, die jeweils ihre eigene Bedeutung in der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen haben. Sie sind werdende Mütter von Kindern, über die schon Großes prophezeit wurde. Maria wurde erwählt, den erwarteten Messias, den Davidsohn und „Sohn Gottes“ zur Welt zu bringen. Der Engel, der ihr die göttliche Botschaft bringt, verweist sie auf Elisabet, ihre „Verwandte“, die im hohen Alter und als unfruchtbar geltend, im sechsten Monat schwanger ist: Ein Zeichen! So macht sie sich auf den weiten Weg von Galiläa ins „Bergland von Judäa“, um Elisabet zu besuchen.

 

Dort wird sie nicht nur als „Mutter meines Herrn“ von Elisabet begrüßt, sondern auch vom „hüpfenden Kind“ in deren Leib. Dieses Kind ist der „Vorläufer“, der auf Jesus hinweisen (Joh 1, 32 - 37) und ihm, dem „Stärkeren“ (Lk 3, 16) „den Weg bereiten“ soll (Lk 4, 3 - 6). Es ist also eine doppelte Begegnungsgeschichte, die hier erzählt wird: Auch die noch Ungeborenen kommen miteinander in Beziehung.

 

Maria war mit ihrem Geheimnis, das ihr offenbart worden war, ganz allein. In ähnlichen Situationen geraten Menschen leicht in eine schreckliche Einsamkeit. Dann tut es unendlich gut, wenn jemand da ist, dem man sich anvertrauen kann. Elisabet ist eine Verwandte, sie ist in einer vergleichbaren Lage. Und sie ist die Ältere, die Lebenserfahrenere. Was liegt näher, als sie aufzusuchen, ja zu ihr zu „eilen“ (V. 39). Und Maria findet, was sie so bitter nötig hat. Nicht nur Verständnis und Rat, sondern was viel wesentlicher ist: Bestätigung ihres Glaubens. „Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.“

 

Der letzte Satz der Elisabet: „Selig, die geglaubt hat…“, richtet sich nach der zu vermutenden Absicht des Evangelisten nicht mehr nur an Maria, sondern an die Hörer und Leser seines Evangeliums. Also heute an uns! Und was hätten wir nötiger in einer Gesellschaft, die den christlichen Glauben kaum noch stützt, sondern weit mehr in Frage stellt? Wer von uns muss sich nicht eingestehen, in seinem Glauben angefochten zu sein – angesichts schrumpfender Gemeinden und einer Kirchenleitung, die das Heil in einem Marsch in die Vergangenheit sucht?

 

Stichwort Gemeinden. So zahlenmäßig schwach und überaltert sie im Vergleich mit früheren Zeiten auch sein mögen: Für die, die als Christen leben wollen, bleiben sie die Orte heilsamer Begegnung. Da kommt es zu Gesprächen und zum Erfahrungsaustausch über Fragen und Schwierigkeiten des Glaubens, zur gegenseitigen Vergewisserung, auf dem richtigen Weg zu sein. Nicht zuletzt ist die aktive Teilnahme am Gottesdienst Zeugnis und Bekenntnis des Glaubens, wodurch alle gestärkt werden.

 

Von Martin Buber stammt der Satz: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Das gilt – ganz in seinem Sinn – auch vom Leben des Glaubens.