Erfüllte Zeit

25. 12. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Prolog“ (Johannes 1, 1 – 18)

von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Am Anfang war das Wort – und das Wort war Gott – und ist Fleisch geworden – und wir haben empfangen Gnade über Gnade. Der so genannte Johannesprolog versucht, in sehr verdichteter Form zu benennen, was es mit diesem Jesus Christus auf sich hat. Es ist ein Hymnus voll Poesie und Klang und tiefer, dichter Theologie. Aber ist das noch dieselbe Geschichte wie die vom jungen Elternpaar und dem Kind in der Krippe und den Hirten mit ihren Geschenken und den Engeln mit ihrer Botschaft vom Frieden? Diese Geschichte erscheint so viel leichter zugänglich, hat sie doch vieles, was sich unmittelbar zuspricht, was einfach schon menschlich zu Herzen geht und nicht erst erschlossen werden muss wie der schwierige gehaltvolle Hymnus. Doch auch die anderen Evangelien erzählen von Maria und Josef und der Geburt des Kindes nicht primär, um Rührung zu erzeugen oder zur Solidarität mit notleidenden Familien aufzurufen. Ihnen geht es um die selbe tiefe theologische Bedeutung wie dem Johannesprolog: Der Messias wurde geboren, der Retter – Gott wird Mensch.

 

Um das auszudrücken, bietet der Evangelist Johannes Poesie auf; hier im Prolog und auch an anderen Stellen in seinem Evangelium klingt es manchmal fast tänzerisch, so als würde er um die richtigen Worte suchend kreisen, als würde ein Wort allein dem nicht gerecht werden können, was hier besungen sein will: Die übergroße Liebe Gottes zu den Menschen, neu erfahrbar geworden in Gottes Menschwerdung als werbende Einladung an uns, einzutreten in diese Liebe, in die Gemeinschaft mit Gott, in die Gemeinschaft der Liebe, die Gott selbst ist.

 

Der Johannesprolog benennt diese Quelle, aus der Jesus stammt – der, der da geboren wurde, war bei Gott, war Gott; von allem Anfang an; schon die Schöpfung gäbe es nicht ohne ihn. Aus diesem Gottsein ist er zu uns gekommen. Die Dreifaltigkeit ist hier angesprochen, diese schwer zu fassende Glaubenseinsicht des Christentums, dass Gott in sich Beziehung und Gemeinschaft ist, kein einsamer Potentat, sondern Liebe, die überfließt. Um diese Liebe ganz mit uns Menschen teilen zu können, kommt Gott selbst zu uns, kommt in die Welt, wird Mensch wie wir.

 

Diese wunderbare und spannende Einheit von Gott, Welt und Mensch feiern wir zu Weihnachten. Der Glaube an die Menschwerdung Gottes und an die Dreifaltigkeit gehören dabei zusammen und sein Grundthema ist Liebe: Aufeinander bezogen sein, zueinander gehören, füreinander da sein – das verbindet Gott und Menschen. Das verweist Menschen aufeinander, das erzählt von einem zugänglichen, beziehungsfähigen Gott.

 

Davon hat Jesus Christus „Kunde gebracht“. „Niemand hat Gott je gesehen, der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“, lautet der zentrale Vers. Der hier verwendete griechische Ausdruck heißt auch „anführen, leiten, hinführen“. Der, der selbst Gott ist und mit dieser lebendigen Wirklichkeit, die er „Vater“ nennt, ganz innig verbunden ist, er hat uns einen Weg zu diesem Gott eröffnet und führt uns hin. Denn er ist das Wort Gottes, das, was es über Gott und von Gott zu sagen gibt. An ihm ist abzulesen, was es mit Gott auf sich hat.

 

Schön klingt das. Aber für viele doch abgehoben; eine Spekulation, noch dazu ausschließlich in männlichen Begriffen von Vater und Sohn angestellt oder im verkopft klingenden „Wort“. Was bleibt von der Direktheit und Lebensnähe der Geschichte von Mutter und Kind?

 

Doch auch der Johannesprolog wird sehr konkret: „Und das Wort ist Fleisch geworden“, sagt er. Hier wurde ein harter, fast derber Ausdruck gewählt. Er sagt nicht: Und Gott nahm menschliche Gestalt an; oder: Er schlüpfte in einen Körper; sondern: Ist Fleisch geworden; ganz konkret also, mit Geburtswehen, Schleim und Blut, ein Mensch mit Liebe und Leidenschaft; mit Gefühlen und Verletzlichkeit, mit Leiden und Tod. Gott wurde Mensch, nicht zum Schein und nicht nur ein bisschen. Sondern ganz und gar. Der, der Gott ist, teilt unser Menschsein. Genau das führt uns hin zu Gott. Das eröffnet den Weg zu Gott, der lebendigen Quelle allen Lebens.

 

Das ist nicht so leicht zu nehmen. Damals nicht und heute nicht. Der Evangelist weiß, dass auch solche, die eigentlich zu Gott gehören würden, ihn nicht aufnehmen. „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“, heißt es weiter.

 

Und auch das ist, glaube ich, sehr konkret: Wer einen meiner geringsten Schwestern und Brüder aufnimmt, der nimmt mich auf – so ähnlich fasst Jesus im Matthäusevangelium zusammen, worauf es dabei ankommt. Weil Gott Mensch geworden ist, kommt er mir in anderen Menschen entgegen. In ihrer Bedürftigkeit wie ihren Freuden; in leiblicher und seelischer Not wie in übersprudelnder Lebensfreude; mit den Augen jedes und jeder anderen, sieht mich Gott an – und will aufgenommen werden.

 

Und als Kind Gottes bin ich wohl dann erkennbar, wenn ich das tue, was mir der erstgeborene Sohn Gottes vorgemacht hat: Mich in die Welt hineinzubegeben und bei den Menschen zu sein, mich anderen an die Seite zu stellen; den Weg der Liebe und der Wahrheit zu gehen wie er. Ganz konkret und voller Poesie. Tänzerisch zur Melodie von Zuneigung über Zuneigung.