Erfüllte Zeit

26. 12. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis“ (Matthäus 10,17 – 22)

von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Jedes Jahr zu Weihnachten berührt mich neu, dass die friedliche Weihnachtsfreude vom liturgischen Kalender mit dem so genannten Stephanitag so jäh unterbrochen wird. Und seitdem ich besser weiß, wie prekär der Weihnachtsfriede in vielen Familien ist und wie die familiäre Gewalt gerade in diesen Tagen enorm ansteigt, berührt es mich noch mehr. Bei allzu vielen scheint die Weihnachtsfreude gegen Stress und zu hohe Erwartungen aneinander, gegen die gespannte Stimmung im Haus und gegen die Gewaltausbrüche nicht anzukommen. Manchmal hält der Friede für einen Abend, einen Tag, aber spätestens am 26. ist er dann vorbei. Wie in der liturgischen Ordnung der Kirche. Eine seltsame Korrespondenz zwischen der Dramaturgie der Liturgie und der Dramatik vieler heutiger Familienfeste.

 

Schon seit dem 5. Jahrhundert wurde am 26. Dezember das Gedenken an den ersten christlichen Märtyrer Stephanus gefeiert, der bald nach Jesu Tod und Auferstehung wegen seines Glaubens an diesen Jesus umgebracht wurde. Dem Bericht der Apostelgeschichte zufolge wurde er nach einem heftigen Wortgefecht mit den religiösen Autoritäten von einer aufgebrachten Menge gesteinigt. Die Festlegung seines Gedenktags in unmittelbarer Nähe zum Weihnachtsfest hat mit der großen Hochachtung zu tun, die die alte Kirche den Blutzeugen des Glaubens entgegengebracht hat.

 

Die freundliche Weihnachtsgeschichte bricht sich somit schon am zweiten Feiertag an der Realität von Gewalt und Unfrieden. Sie erinnert mit aller Deutlichkeit an die Konsequenzen aus der lieblichen Krippenszene, an den Jesus Christus, der einen gewaltsamen Tod erleidet, in den ihm viele folgen müssen, die für den Glauben an ihn und seine Auferstehung werben. Weihnachten zu feiern erhält damit einen großen Ernst und Realismus. Es ist eben alles andere als harmlos, mit dem Wunder der Liebe im eigenen Leben ernst zu machen. Es ist auch mit Gegnerschaft und Konflikt zu rechnen.

 

In den Familien entzünden sich die Konflikte oft an banalen Fragen: Was es zu essen gibt oder ob es sein muss, dass alle zu Oma und Opa mitfahren, etc. Dahinter stehen oft Machtkämpfe. Gerade innerhalb einer Familie kann hart miteinander darum gekämpft werden, wer hier das Sagen hat, wer sich durchsetzt. Gewalt entzündet sich dann oft dort, wo ein Familienmitglied versucht, sich dem familiären Einfluss zu entziehen.

 

Auch das Evangelium, das für den heutigen Märtyrergedenktag ausgewählt ist, kennt Zwist und Unfrieden in der Familie: „Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und Kinder ihre Eltern in den Tod schicken“, heißt es da. Wieso hat der christliche Glaube solche Brüche in Familien erzeugt? Vielleicht genau deshalb, weil die, die Christinnen und Christen geworden waren, sich damit einer anderen Autorität unterstellten als der Familie. Ihnen war die Zugehörigkeit zu Gott in Jesus Christus wichtiger geworden.

 

Der Evangelientext spricht in die Zeit der ersten Christenverfolgungen hinein. Er ist realistisch und will zugleich Mut machen. Und er ruft die Christen zur Gewaltlosigkeit auf: Auch wenn es eure engsten Angehörigen sind, die euch verfolgen und dem Tod ausliefern, „macht euch keine Sorgen“, keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt. Ich höre das als umfassenden Aufruf, auf die Machtspiele nicht einzusteigen, nicht im Voraus schon Argumente zurechtzulegen, weder innerlich noch äußerlich aufzurüsten und sich nicht kampfbereit zu wappnen. Stattdessen: Macht euch keine Sorgen, der Geist wird durch euch reden. Lasst euch nicht ein auf das Hin und Her von Vorwurf und Rechtfertigung, auf das Tauziehen um die Macht – weder in der Familie oder der Partnerschaft noch in der Gesellschaft. Lasst euch darin nicht verwickeln. Ihr habt es nicht nötig: Um euch sorgt sich Gott.

 

Das Christentum ist eine wehrlose Religion. Auch wenn es sich in seiner Geschichte immer wieder anders gebärdet hat, gibt es kein wehrhaftes Christentum. Denn Christsein heißt, auch gegenüber der Gewalt bei der Liebe zu bleiben. Das ist eine enorme Herausforderung und kann im Konkreten sehr Verschiedenes bedeuten – etwa auch, einen Konflikt offen auszutragen, für die eigenen Rechte einzustehen, Schwächere zu schützen, eine notwendige Trennung durchzuziehen etc. Wesentlich ist, den anderen nicht beherrschen zu wollen. Solcher Gewaltverzicht als Machtverzicht ist möglich im Vertrauen auf Jesus Christus, der selbst seinen Weg bis zum Schluss gewaltlos gegangen ist.

 

Das Evangelium verheißt, dass gerettet wird, wer standhaft bleibt bis zuletzt – standhaft dabei bleibt, der Gewalt nicht wieder Gewalt entgegenzusetzen, aufs Aufrüsten und Zuschlagen, auf die Macht über die anderen schlicht zu verzichten. Auch wenn dabei nicht jeder soweit gehen wird wie Stephanus, von dem es heißt, dass er sterbend für seine Mörder gebetet hat, so ist jeder kleine Schritt des Gewaltverzichts ein guter Schritt im Sinne Jesu. Ein Schritt, der an jenem Frieden baut, der als Verheißung aus der Weihnachtskrippe lacht und angesichts der vielen kleinen und großen Machtkämpfe unseres Alltags einen tiefen Ernst bekommt.