Erfüllte Zeit

27. 12. 2009, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lukas 2, 41 – 52)

von P. Bernhard Eckerstorfer OSB, Stift Kremsmünster

 

 

Jesus ist im heutigen Evangelium 12 Jahre alt und macht sich selbständig. Das kann ich gut nachvollziehen: Meine Nichte feiert in einigen Tagen ihren 12. Geburtstag. Bei ihr erlebe ich, wie sich junge Menschen in diesem Alter verändern: Da wird plötzlich das Kinderzimmer mit Postern von Popstars austapeziert, die Meinung der Mutter hinterfragt und mit den Freundinnen das Schminken geübt. Vieles ist auf einmal peinlich, was früher von den Erwachsenen selbstverständlich angenommen wurde. Junge Menschen an der Schwelle zu Teenagern merken selbst die Veränderung und machen sich ihren eigenen Reim darauf: „Meine Eltern sind gerade in einem schwierigen Alter“.

           

Auch bei der Heiligen Familie ist plötzlich alles anders: Wie jedes Jahr gehen Maria, und Josef mit ihrem Kind zum Paschafest nach Jerusalem. Doch dieses Jahr folgt ihnen der Kleine nicht mehr automatisch nach Hause. Voll Angst suchen sie Jesus. Diese Erzählung zeigt uns: Die Heilige Familie lebte nicht in einer heilen Welt. Auch bei Maria, Josef und Jesus gab es Krisen und Unverständnis: „Kind, wie konntest du uns das antun. Wir haben dich voll Angst gesucht.“ – „Wusstet ihr nicht, dass ich …“ – „Sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte.“ Szenen einer ganz normalen Familie. Und doch ist Jesus und sein Weg einzigartig. Was sagt also diese Geschichte über Gott und über unseren Weg mit ihm?

           

Bemerkenswert finde ich, dass die Evangelien nur diese eine Begebenheit von Jesu Kindheit und Jugend erzählen. Spätere Texte, die sog. apokryphen Schriften, füllen diese scheinbare Leerstelle mit Wundergeschichten des kleinen Jesus, der allwissend ist und wie ein Superman eingreift. Unsere Evangelien, die die Kirche ins Neue Testament aufgenommen hat, zeichnen ein anderes Bild: Die Heilige Familie führt ein unscheinbares Leben im kleinen Dorf Nazareth. Der Sohn Gottes ist ganz Mensch geworden, wächst in einer Tischlerfamilie auf, muss vieles lernen und sich selbst zu verstehen suchen – „in allem uns gleich, außer der Sünde“ (4. Hochgebet). Erst mit 30 tritt Jesus öffentlich auf und verändert zunächst seine Umgebung, dann die ganze Welt.

           

Seine Lebensgeschichte so zu verfolgen ist wichtig für mein eigenes Leben: Gott wirkt im ganz normalen Alltag. Meist erkenne ich ihn nicht, aber er ist da. Und was zu Weihnachten geschehen ist, muss in mir erst wachsen und reifen. So nehme ich mir vor, in diesen nun wirklich stillen Tagen um Neujahr dem mehr Raum zu geben, dessen Geburt wir vor zwei Tagen gefeiert haben. Dazu muss ich aber aus der Weihnachtsidylle heraustreten. Das zeigt das heutige Evangelium eben auch: Jesus sitzt unter den Lehrern und fühlt sich im Tempel zu Hause. Mit zwölf Jahren kündigt sich seine Sendung deutlich an – er gehört ganz zu Gott: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Bei der Hochzeit von Kana wird er später seine Mutter anfahren: „Was willst du von mir, Frau?“ (Joh 2, 4). Und als dem Wanderprediger einmal gesagt wird, seine Mutter und Verwandten stünden vor der Türe und würden nach ihm fragen, da meint Jesus distanziert: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“

 

Maria und Josef müssen beim zwölfjährigen Jesus erkennen, dass er für sie nicht immer das kleine Kind bleiben kann; er entzieht sich ihren Vorstellungen und vielleicht auch ihren Plänen mit ihm. Hierin liegt, glaube ich, auch eine Botschaft an uns: Gottes Sohn ist nicht das liebe, kleine Jesuskindlein unter dem Christbaum, umgeben von bauschigen Engelsfiguren, verdeckt von Süßigkeiten. Er tritt uns als Messias gegenüber, geht eigene Wege und setzt andere Maßstäbe. Das Holz der Krippe wird zum Holz des Kreuzes. Maria ist diesen Weg mitgegangen. Vieles kann sie nicht fassen – von der wundersamen Empfängnis über den zwölfjährigen Sohn im Tempel bis zum Kreuzestod auf Golgota. Großartig, wie sie dennoch offen bleibt und „alles in ihrem Herzen bewahrt“.

 

Diese Haltung wünsche ich übrigens auch meiner zwölfjährigen Nichte. Sie wird immer mehr eigene Wege gehen. Möge sie dabei Jesus als ihren Bruder erkennen und ihm als ihrem Herrn und Meister folgen – auch wenn sie vieles nicht gleich versteht.