Erfüllte Zeit

10. 01. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Johannes der Täufer“

(Lukas 3, 15 - 16. 21 – 22)

von P. Gustav Schörghofer SJ

 

 

In den Tagen um Weihnachten habe ich zwei Bücher von Walter Kappacher gelesen. Eines hieß „Selina oder Das andere Leben“. Da war von einem Lehrer die Rede, der einige Monate eines Freijahres in der Toskana verbrachte, auf einem herunter gekommenen Landgut. Er begann, Haus und Umgebung zu pflegen, hatte Kontakte mit Einheimischen und mit dem Eigentümer des Landgutes, einem Deutschen, der schon lange in einem nahen Dorf lebte. Keine großen Ereignisse, alles sehr einfach. Die Sprache des Romans führt in eine Welt, in der das Einfache und Unscheinbare zum Eigentlichen wird. Sehr merkwürdig. Gibt es das: Ein anderes Leben?

 

Johannes der Täufer war eine sonderbare Gestalt, angesiedelt in den Randzonen des kultivierten Lebens. Er hat dort eine Taufe der Umkehr in die Vergebung der Sünden verkündet – so heißt es wörtlich ein paar Verse vor der eben gehörten Stelle des Lukasevangeliums. Eine Umkehr in die Vergebung der Sünden. Das klingt sonderbar. Es ist aber sehr einfach, sehr einleuchtend. Ich kann mich aus der täglichen Misere, diesem Einerlei des Halben und Engen, diesem Kerker immer neuer Unzulänglichkeiten und Gemeinheiten, aus all dem kann ich mich befreien. Oder besser gesagt: Nicht ich kann mich selber befreien, ich kann aber die Wendung zu einer möglichen Befreiung vollziehen. Nicht mehr auf die tausend Notwendigkeiten und Unweigerlichkeiten des Lebens starren, sondern durch eine Wendung den Blick frei bekommen auf etwas Neues. Auf ein anderes Leben.

 

Die Taufe Jesu ist nach Weihnachten am 25. Dezember und Epiphanie am 6. Jänner das dritte weihnachtliche Fest. Immer geht es um das Offenbarwerden Gottes in der menschlichen Gestalt Jesu Christi. In der Geschichte der Taufe Jesu wird vom Heiligen Geist berichtet, der in Gestalt einer Taube auf Jesus herabkam, und von der Stimme Gottes aus dem Himmel, die Jesus und seine Botschaft bestätigte. Sozusagen eine amtliche Beglaubigung des Gottessohnes. Schön für ihn, könnten wir sagen. Aber was heißt das für uns? Ändert das irgendetwas an unserem Leben? Macht es etwas anders?

 

Nichts wird anders. Alles bleibt beim Alten, ist immer schon beim Alten geblieben. Die Welt ändert sich nicht. Und doch, wenn ich in die Sprache des Evangeliums hinein höre, merke ich, dass da etwas Neues ist. Es rieselt ins Alte hinein wie das Wasser aus einem undichten Spülkasten in die Klomuschel. Der Sprache von Predigern und Religionspädagogen fehlt dieses Rieseln fast immer. In der Sprache der Dichter ist es zu hören. Bei Walter Kappacher. Oder bei Juan Ramón Jiménez, einem spanischen Dichter. Auch noch in der deutschen Übersetzung hat sein Gedicht „Meere“ etwas von seinem Zauber bewahrt:

 

Ich spür´, dass mein Schiff,

dort in der Tiefe, auf etwas Großes

gestoßen ist.

Und nichts

geschieht! Nichts … Ruhe … Wogen …

- Nichts geschieht; oder ist alles geschehen,

und wir sind schon mit dem Neuen vertraut? –

 

Das Neue ist also möglich. Es gibt das andere Leben. Die Frage ist nun: Wie komme ich an den Ort dieses Lebens, dieses Neuen? Ich muss an den Rand meines Lebens treten, an den Rand der von mir behausten Gebiete reisen. Vielleicht in die Toskana? Gar nicht nötig. Es genügt eine Wendung eben dort, wo ich bin. Eine Wendung zum Menschen bei mir, neben mir. Eine Wendung zum Fremden, zum Anderen. Eine Umkehr in die Aufmerksamkeit, ins Vertrauen, in die Gerechtigkeit. Johannes steht für diese Umkehr ein. Seine Geradlinigkeit wird ihn den Kopf kosten. Und nichts geschieht! Sind wir gezwungen, Aug in Aug mit unserer Not immer wieder die Vergeblichkeit allen Mühens zu erfahren?

 

Aug in Aug mit meiner Not – an diesem Ort erfahre ich das Neue. Meine Not ist es, die Gott aus seiner Verborgenheit lockt. Die ihn dazu bringt, sich mir zuzuwenden. Weihnachten, das ist die Wendung Gottes zum Menschen. Gott berührt uns am Ort unserer Not. „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen.“ Zusammen mit Jesus mach auch ich die Wendung zum Menschen, und bete, das Wasser bis zum Hals, und weiß: Das gibt es, das andere Leben.