Erfüllte Zeit

31. 01. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Ablehnung Jesu in seiner Heimat“ (Lukas 4, 21 – 30)
von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Der Prophet wird in seiner Heimat nicht anerkannt – die erwartbaren Schwierigkeiten des Propheten im eigenen Land gehören zum allgemeinen Zitatenschatz. Zitiert wird das z. B. dann, wenn ein Künstler erst ins Ausland gehen muss, um berühmt zu werden; oder wenn eine Politikerin mit neuen Ideen kein Gehör findet. Wir ziehen den Spruch auch dann heran, wenn wir uns z. B. erklären wollen, wieso in der Mieterversammlung unsere Idee nicht durchzubringen war, oder warum es nicht gelang, die Familie auf gesündere Ernährung einzuschwören.  

 

Alle, die daran scheitern, ihre Erkenntnisse denen zu vermitteln, die zu ihrem engeren Lebensumfeld gehören, finden ebenso Trost in diesem Bibelwort wie jene, denen die Anerkennung für ihre Leistungen gerade von den Menschen aus dem eigenen Kreis versagt bleibt.  

 

Einen Hinweis, wie solche Ablehnung zu erklären ist, enthält bereits das Evangelium: Ist das nicht der Sohn des Josef? fragen sich die Leute, die Jesus predigen hörten. Hat der nicht in dem Haus da am Bach gewohnt? – Diese Familie war ja immer schon ein bissel seltsam. – Den hab ich schon gekannt, als er noch soo klein war – und jetzt redet er groß daher. 

 

So oder ähnlich reden heute Menschen über die aus dem Dorf oder der Verwandtschaft, die sich der eigenen Herkunftsgemeinschaft mit etwas Außergewöhnlichem präsentieren – so oder ähnlich werden die Leute wohl auch über Jesus geredet haben.  

 

Solche Bemerkungen funktionieren als Schutzschilder. Da muss man dann gar nicht mehr so genau hinhören, was wirklich gesagt wird, denn da steht sogleich die Vergangenheit des Sprechers vor Augen. Das, was er heute ist oder zu sein versucht, kommt dagegen nicht an. Die, die zu Hause geblieben sind, die, die sich nicht verändert haben, schützen sich so gegen die Herausforderung, die einer bringt, der anders geworden ist, der Talente entfaltet, Erkenntnisse gewonnen, Neues versucht hat – und davon mitteilen möchte.  

 

Schutz gegen das Außergewöhnliche braucht die Normalität aber eigentlich nur dann, wenn sie sozusagen nicht stimmt, wenn da ungelebte Sehnsüchte und Begabungen schlummern oder wenn wir in unserem eigenen Leben nicht so fest stehen und nicht so angesehen sind, dass wir einem anderen Erfolg und Ansehen leicht gönnen können – und wer ist schon so im Reinen mit dem eigenen geworden Sein?  

 

In der Erzählung des Lukas reagiert Jesus auf die Erwähnung, dass er als Sohn des Josefs hier ja ortsbekannt ist, sehr heftig und direkt. Schließlich waren die Leute ja zunächst offenbar recht angetan von seiner Predigt. Es könnte ja auch einen bewundernden Unterton gehabt haben: Schau, schau, was aus dem geworden ist.  

 

Aber Jesus fährt  ihnen entgegen und bringt ein schon zu seiner Zeit altes Zitat: Arzt heile dich selbst. Diese Haltung vermutet er bei den Menschen aus seinem Dorf. Und er unterstellt ihnen, bloß aus Sensationsgier und Wundersucht gekommen zu sein. Mich erinnert diese heftige Reaktion an meine eigene spezifische Unsicherheit, wenn ich in quasi familiären Kreisen von dem zu sprechen beginne, was mir selbst besonders wichtig ist.

 

Jesus hat Mut bewiesen, dass er gerade in Nazareth sein Programm verkündet: Die frohe Botschaft für die Armen durch den mit dem Geist Gesalbten. 

 

 Die vielleicht schon erwartete Ablehnung erklärt sich Jesus durch biblische Vorbilder: Schon Elia und Elischa, zwei der ganz großen Propheten, erlebten Momente, in denen sie ihre Wirksamkeit nicht für das Volk Israel entfalten konnten, sondern Bereitschaft, sich diesem Wirken anzuvertrauen, bei Menschen fanden, die außerhalb dieses Volkes standen: Bei einer verwitweten Phönizierin in Serepta und bei einem Syrer namens Naaman.  

 

Für die Leute aus Nazareth ist das eine ordentliche Provokation. Niemand wird gerne an altes Versagen erinnert, und keiner hört gerne, dass das Heil andere bekommen. Hier trifft Jesus den Nerv derer, die sich des Heiles Gottes vielleicht allzu sicher sind.  

 

Der Wut der Leute, die er provoziert hat, setzt Jesus Souveränität entgegen. Noch ist er nicht in ihre Hand gegeben, auch wenn das Thema seines gewaltsamen Todes hier wie in einer Ouvertüre schon anklingt.  

 

Tatsächlich können die Abschnitte aus dem Lukasevangelium, an deren Ende der heutige Text steht, als eine Art Ouvertüre des öffentlichen Wirkens Jesu gelesen werden. Lukas bringt drei Szenen: Jesus geht zu Johannes und lässt sich taufen – damit stellt er sich deutlich in die Reihe derer, die den Glauben in Israel erneuern wollen. Jesus verkündet in der Synagoge in Nazareth das Wort des Propheten Jesaja von der frohen Botschaft für die Armen und an den Rand Gedrängten, der Botschaft der Befreiung am Tag des Herrn – und nimmt für sich in Anspruch der zu sein, mit dem dieser Tag der Zuwendung Gottes neu beginnt.  

 

Und: Jesus grenzt sich von denen ab, die seine Predigt zurückgelehnt, mit Reminiszenzen an den kleinen Buben aus dem Dorf, anhören – und provoziert die, bei denen er keine Bereitschaft zur Umkehr vermutet und wenig Vertrauen auf das vielleicht überraschende Wirken Gottes.  

 

Durch Einreihung wie durch Abgrenzung gewinnt ein Mensch Identität. Lukas erzählt uns, wie am Beginn von Jesu Weg seine Identität immer deutlicher sichtbar wird. Mich schickt das auf den Weg meiner eigenen Identitätsfindung: Meine Talente zu entfalten und Begabungen zu nutzen, mich von denen, die ausgezogen sind, anregen zu lassen, meiner eigenen Berufung zu folgen, mich anzuschließen und abzugrenzen und den Mut zu haben, mich auch denen mitzuteilen, denen ich vielleicht zu bekannt bin, als dass sie mich gleich verstehen könnten. Die eigene Berufung zu entdecken und zu ihr zu stehen, braucht die Bereitschaft, sich dem anzuvertrauen, was Gott wirkt – durch mich und über mich hinaus: Befreiendes Leben.