Erfüllte Zeit

14. 03. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Das Gleichnis vom verlorenen Sohn" (Lukas 15, 1 - 3. 11 - 32)
von Theresia Heimerl

 

 

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist einer der bekanntesten Texte aus den Evangelien. In der Volksschule haben viele von uns den Vater gezeichnet, wie der dem verlorenen Sohn entgegengeht, und ihn in die Arme schließt. Auch die Schweine, die der Sohn in der Fremde hütet, waren und sind ein beliebtes Motiv für Kinder. Der Text als Ganzes gelesen ist einer der schwierigsten und – ja- hinterhältigsten. Er irritiert. Er provoziert. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wiederspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Die ‚Moral von der Geschicht‘ ist sehr unmoralisch: Da ist einer arrogant, wirft sein Geld beim Fenster hinaus, bringt der Familie nur Sorgen und einen schlechten Ruf (was werden die Nachbarn tuscheln über den missratenen Buben) – und dann: Keine Strafpredigt, keine Wiedergutmachung. Im Gegenteil, der Vater freut sich und lässt den Sohn feiern.

 

Seien wir ehrlich. Wir alle sind ältere Söhne und Töchter. Von klein auf hat man uns beigebracht, dass man etwas leisten muss, dass Leichtsinnigkeiten und Eskapaden nicht drinnen sind. Was mit den jüngeren Söhnen passiert, wissen wir: Sie sitzen in den U-Bahneingängen, mit ungewaschenen, grünen Haaren und dreckigen Fingernägeln. Oder sie betteln uns um ein paar Euro an, die wir ihnen nicht geben, weil wir doch wissen, dass diese leichtsinnigen jüngeren Söhne sie nur verprassen werden, in Form von Bier oder noch Schlimmerem auf öffentlichen Plätzen. Es sind diese jüngeren Söhne, die unseren Kindern als abschreckendes Beispiel dienen sollen, wenn sie nicht brav so sein wollen wie wir: Gehorsam, mit einem klaren Ziel unterwegs auf einem geordneten Lebensweg.

 

Irgendwas muss schief gegangen sein in der Erziehung dieses jüngeren Sohnes. Kinder aus guten katholischen Familien wissen schließlich, wie man ein gelungenes Leben führt. Ganz offenkundig war der Vater aus dieser Geschichte zu wenig konsequent, hat seinem jüngeren Sohn keine Grenzen gesetzt. In eine Familientherapie würden wir sie wohl alle drei stecken: Den Vater und seine beiden Söhne.

 

Ein Gott, der so handelt wie der Vater in diesem Gleichnis, ist pädagogisch unbrauchbar. Ein Gott, der den wissentlichen und willentlichen Sünder einfach so umarmt und ihn sogar feiern lässt, ist eine Provokation, ja schon fast eine Beleidigung.  So ein Gott macht alle pastoralen Bemühungen, die Menschen zu einem tugendhaften Leben nach christlichen Normen und Werten zu begeistern, scheinbar zunichte.  Das Gleichnis vom verlorenen Sohn macht uns mit einem Mal bewusst, dass Gott eben nicht auf das Menschliche reduzierbar ist. Der Vater ist ein Bild, das wir verwenden, wie alle Bilder, mit denen wir Gott in Sprache zu fassen versuchen. Gott und sein Handeln am Menschen aber übersteigt jede menschliche Vorstellung. Gottes Gerechtigkeit ist nicht unsere kleine und kleinmütige Gerechtigkeit. Gottes Liebe ist keine pädagogisch korrekte Liebe, keine Wenn-Dann-Beziehung. Gott lässt sich von den Menschen nicht vorschreiben, wie er die Sünder zu behandeln hat und wie die Gerechten. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist nicht nur eine Parabel auf Gottes Liebe und sein so ganz anderes Verständnis von Gerechtigkeit. Es ist auch ein starker Text über unsere Selbstgerechtigkeit, gerade auch jene der Frommen und Tugendhaften.

 

Der Neid ist eine der sieben Todsünden, und eine, die gerade die älteren Söhne, die braven, gehorsamen, hart arbeitenden, leicht befällt. Wir beneiden den jüngeren Sohn insgeheim. Er hat sich getraut, wegzugehen, den Vater zu verlassen, alle Regeln eines normierten Lebensstils hinter sich zu lassen – wir täten das vielleicht auch gern, aber wir trauen uns nicht. Wir trauen uns nicht, weil wir mit einem strafenden Vatergott rechnen, der dann beleidigt sein könnte.

 

Und dann: Nichts. Ein Fest bekommt der Nichtsnutz auch noch, wie wir es nie bekommen haben.

 

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn macht allen Söhnen und Töchtern Mut, die weggegangen sind. Es ermutigt aber auch die braven, älteren Söhne und Töchter, ihren Vater im Himmel anders zu sehen. Ihm mehr zuzutrauen als die eigenen, engen Vorstellungen von Tugend und Gerechtigkeit. Wenn schon Gott den jüngeren Sohn, den Leichtsinnigen, den Undankbaren, den Sünder einfach so in die Arme schließen kann – können wir es nicht auch? Das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist eine subversive Anfrage an die Leistungs- und Normgesellschaft von heute. Nicht nur die Streber, die Angepassten, die braven Werktätigen liebt Gott. Und er liebt sie schon gar nicht, weil sie brav und strebsam sind. Gott liebt seine jüngeren und älteren Söhne und Töchter, weil sie seine Kinder sind, egal was sie tun. Eine moralische, pädagogische und theologische Provokation ist das. Und eine große Erleichterung für uns, so einen Vater im Himmel zu haben.