Erfüllte Zeit

21. 03. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

"Jesus und die Ehebrecherin" (Johannes 8, 1 - 11)
von Theresia Heimerl

 

 

 „Sag mir, wie hältst du es mit der Ehemoral?“ Die Lieblingsfrage aller eifrigen Bewahrer des rechten Glaubens in allen Religionen. Wie noch viele Generationen von Theologen und Klerikern nach ihnen wollen die Pharisäer einen unliebsamen Konkurrenten als Irrlehrer darstellen, indem sie seine Position in Sachen Ehe- und Sexualmoral austesten. Jesus aber antwortet nicht so, wie sie es gerne hätten. Nur zu gerne würden sie hören, wie Jesus die Frau frei spricht, wie er die tradierten religiösen Gesetze missachtet. Doch Jesus gibt keine „liberale“ Antwort. Er lässt sich nicht ein auf einen Disput über den Wert des Gesetzes und der Tradition. Jesus geht nicht über das religiöse Gesetz hinweg. Er geht radikal in dessen Mitte hinein. Im Zentrum der Gesetze des Alten Testaments steht Gott und seine Beziehung zum Menschen. Der Mensch, jeder Mensch, lebt seit dem Sündenfall, wie ihn die ersten Kapitel des Alten Testaments schildern, im Zustand der Sünde. Die Gesetze des Judentums, wie letztlich alle religiösen Gesetze, zielen darauf ab, die Beziehung zwischen diesem sündhaften Menschen und Gott lebbar zu machen. Sie sollen Hilfe sein, damit sich der Mensch nicht noch weiter in die Sünde verstrickt. Die Pharisäer und Schriftgelehrten aus dieser Perikope verwenden die Gesetze ganz anders. Längst sind die Einzelvorschriften vom Mittel zum Ziel geworden. Ihre Einhaltung zu überwachen und ihre Nicht-Einhaltung zu bestrafen bringt Macht über andere.

 

Jesus spricht das Wesentliche an, das, worum es eigentlich geht: Die Sünde. Jesus leugnet nicht, dass der Ehebruch, den die Frau begangen hat, Sünde ist. Er entschuldigt nicht, er nivelliert und relativiert nicht, wie unsere modernen Pharisäer es so gerne nennen. Jesus spricht an, was wir alle so gerne verdrängen: Die Sünde ist nicht etwas, was ich bei anderen anklagen kann. Sie gehört wesenhaft zu uns allen. Es ist leicht, das zu vergessen. Umso leichter ist es, die eigene Sündhaftigkeit zu vergessen, je mehr Macht ich habe. Welcher einfache Gläubige traut sich schon, einen Mann in einem hohen religiösen Amt, einen Schriftgelehrten oder Pharisäer, einen Bischof oder Imam an seine  menschliche Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit zu erinnern?

 

Jesus tut es. Er klagt auch hier nicht an. Jesus sagt zu keinem der Männer: Du hast diese oder jene Sünde begangen – wie wir es wohl in einem solchen Disput täten. Jesus überlässt es den Pharisäern und Schriftgelehrten selbst, ob sie sich für frei von jeder Sünde halten. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Es spricht für diese Männer, dass keiner zu einem Stein greift. Während Jesus weiter im Staub zeichnet, stellen sie sich der Herausforderung. Sie denken über sich selbst nach. Und alle wissen bei sich, dass sie gesündigt haben, jeder auf seine Weise. Wie würde dieses Experiment heute wohl ausgehen? Wie viele gute Christinnen und Christen hätten nicht ganz schnell einen Stein in der Hand?

 

Wir tun uns nach wie vor sehr leicht mit den Sünden der anderen, zumal in religiösen Kreisen. Wir wissen ganz genau, wer mit seinen Sünden Schuld ist am Zerfall der Gesellschaft, am Wertverlust und am Untergang des Abendlandes überhaupt. Den Mut der Pharisäer und Schriftgelehrten, uns selbst anzuschauen und leise wegzugehen haben wir oft nicht. Uns an die Exekution von tradierten Vorschriften und Normen zu halten und jene, die wir erwischen, zu steinigen, ist viel bequemer. Es gibt uns das Gefühl der moralischen Überlegenheit. Würden wir uns diese auch so einfach „abräumen“ lassen wie die Pharisäer und Schriftgelehrten in Jerusalem?

 

Oder aber, wir möchten die Sünde überhaupt abschaffen und zur Ehebrecherin sagen: „Eh kein Problem, das war sicher wichtig für deine persönliche Entwicklung.“ Lieber keiner ist ein Sünder als alle. Jesus ist aber kein Befreier von der Sünde in diesem Sinn. Er ist kein Hippie-Guru, der alle gesellschaftlichen und religiösen Normen aufhebt. Jesus sagt zu der Ehebrecherin: „ Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“. Ihre Sünde bleibt Sünde. Doch es ist nicht an uns Menschen, sie dafür zu verurteilen. Auch in vielen anderen Reden und Gleichnissen erinnert uns Jesus immer wieder daran, dass die Menschen nicht Gott spielen und an seiner Stelle urteilen oder gar verurteilen sollen. Wir halten das in unserer Selbstgerechtigkeit ganz schwer aus. Wir möchten schon jetzt die Sünder verurteilen, damit sie uns nicht mehr an unsere eigene Sündhaftigkeit erinnern.

 

„ Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein“. Vielleicht halten wir uns diesen Satz vor Augen, wenn wir wieder einmal einen Stein in der Hand haben. Und gehen dann ganz leise weg, bis nur noch Gott bei dem vermeintlichen Sünder ist.