Erfüllte Zeit

04. 04. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Entdeckung des leeren Grabes“  (Johannes 20, 1 – 9)

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

„Halleluja!“ Spanische Trompeten schmetterten durch das Kirchenschiff, Schauer liefen über meinen ganzen Körper. „Halleluja!“ Mit gleißender Energie flutete das Sonnenlicht in den hohen Raum, wahre Wolken von Weihrauchduft stiegen auf. „Halleluja!“ Ein junger Mann riss jubelnd seine Arme empor, vorbei waren die wochenlangen Fußmärsche. Ostersonntag in Santiago de Compostela: Tief hat er sich mir eingeprägt, in Leib und Seele, dieser vibrierende 10-Uhr-Gottesdienst in der Kathedrale. Jetzt verstand ich die Regie von Pater Angel. „Die Liturgie der Karwoche? Die habt ihr immer wieder in euren Pfarren“, sagte er. „Aber in diesem Jahr, da seid ihr auf dem Sternenweg!“ Er, ein Ordensmann, er, der Motor spirituellen Pilgerns durch „sein“ Spanien, er wollte mit uns nur diese eine Eucharistie feiern. Als dramatischen Schluss unserer Reise, als Höhepunkt.

 

Der Evangelist Johannes setzt auf eine ganz andere Dramaturgie: „Lost in the dark“. Finsternis herrscht, wenn sich der Vorhang lautlos hebt. Dann ein Schatten auf der Bühne, Maria von Magdala. Allein in einem Garten, am Grab ihrer Träume. Wo er liegt, starr und kalt, er, der Heiler ihres Lebens (vgl. Lk 8,2), er, der Mann ihres Herzens. Wer bei den anderen drei Evangelisten nachliest, der findet dort nicht eine, sondern mehrere Frauen, die am ersten Wochentag Jesu Grab besuchen. Lukas lässt sie aromata, „wohlriechende Öle“ mitnehmen, “Spezerei“ hat Martin Luther übersetzt. Aromata, schreibt auch Markus und fügt noch hinzu „um ihn zu salben“. Damit meint er keine Einbalsamierung, denn die war in Palästina unbekannt. Sondern das Waschen und Salben des Leichnams, was bei Jesu Begräbnis offensichtlich unterblieben war. Es sollte möglichst bald von den erwähnten Frauen nachgeholt werden.

 

Ganz anders die Intention bei Johannes. Er lässt nur eine Frau agieren, Maria von Magdala. Mit fünf Verben schildert er packend ihr Auftreten, im griechischen Original als historisches Präsens: Sie „kommt“ und „sieht“, sie „läuft“, „kommt“ und „sagt“. Und die Nachricht aus Frauenmund macht zwei Männern Beine: Simon Petrus und der „andere Jünger, den Jesus liebte“, eilen durch Jerusalem. Was ihnen Maria mitteilt – „wegnahmen sie den Kýrios, den Herrn, aus dem Grab, und nicht wissen wir, wohin sie ihn legten“ – diese Botschaft geht die beiden in besonderer Weise an.

 

Eine Frau und zwei Männer sind auf der Suche nach – einem vierten, der tot ist. Eine Konfiguration, auf die Carl Gustav Jung als erster aufmerksam gemacht hat. Er fand heraus, dass viele Erzählungen nach dieser inneren Logik aufgebaut sind: drei, die irgendwie schon zusammen gehören, brauchen, um ganz zu werden, etwas Viertes, das ihnen noch fehlt. Erst wenn sie die vermisste Sache wiederfinden, können sie aufatmen, sich freuen. Erst wenn die verlorene Person auftaucht und damit ins Leben zurückkehrt, ereignet sich Vereinigung, geschieht Erfüllung.

 

Die Ostergeschichte des Evangelisten Johannes: Sie beginnt mit Maria von Magdala, die mit wundem Herzen sucht, was ihr an Kostbarem verloren ging; sie setzt sich fort in dem recht merkwürdigen Wettlauf zweier Apostel, nämlich zwischen Petrus und dem anonymen „Lieblingsjünger“; sie endet scheinbar mit dem Schlusswort, das wir heute gehört haben: „Sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste“. Doch wo bleibt die Lösung dieses Knotens?

 

Es ist klar: So kann die Ostergeschichte nicht enden, sie muss noch weiter gehen! „Gýnai, tí klaìeis? Frau, was weinst du?“ Engelszungen reden so, am Ende einer langen Nacht. Als sie sich rückwärts wendet, stellt er, der wie ein Gärtner wirkt, dieselbe Frage und fügt hinzu: „Wen suchst du?“ Doch erst als sie sein „Mariam“ vernimmt, findet sie ihn. Sie wendet sich ihm zu, vertraut klingt ihr aramäisches „Rabbuni! – Lehrer! “ Berühren will sie ihn, festhalten die Gestalt ihres Sehnens und Erinnerns. Und Johannes schließt sein Osterevangelium mit der Sendung Marias durch den Auferstandenen: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich steige hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Und es kommt Mariam von Magdala und verkündet den Jüngern: Heóraka tón kýrion. Gesehen habe ich den Herrn“ (Joh 20,17f).

 

„Found in the light”. Letzte Szene der symbolischen Dramaturgie nach Johannes. Die Bühne, leuchtend in der Morgensonne. Ein Garten, blühend im Frühling. Eine Frau, Maria von Magdala, im Vordergrund. ICH BIN, hat er gesagt, ICH BIN das Licht. Sie wiederholt es für Simon Petrus. ICH BIN, hat er gesagt, ICH BIN die Auferstehung. Ihre Stimme ist klar und fest. Auferstehung kannst du nicht beweisen, du lebst sie. Ein Schimmer liegt in ihren Augen. Sie wendet sich zu dem anderen Jünger und sagt: Liebe kannst du nicht beweisen, du lebst sie. Nein, sie lebt dich.