Erfüllte Zeit

05. 04. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Begegnung mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus“

(Lukas 24,13 – 35)

von Prof. Dr. Josef Schultes

 

 

Emmaus: Die längste und für mich großartigste Oster-Erzählung des Neuen Testaments! Ich will meine Auslegung dieses Lukastexts einem mir sehr wichtigen Exegeten widmen. Vor kurzem ist Professor Jacob Kremer verstorben. Wie sehr Ostern im Zentrum seines Lehrens und Forschens gestanden ist, unterstrich der frühere Bibelbischof Helmut Krätzl beim Requiem im Wiener Priesterseminar. Vor mehr als dreißig Jahren erschien Kremers Buch „Die Osterevangelien. Geschichten um Geschichte“ (Verlag KBW, Stuttgart-Klosterneuburg 1977), damals festlich im Erzbischöflichen Palais vorgestellt. Viele meiner Studierenden haben damit gearbeitet.

 

In diesem Buch schreibt Jacob Kremer, immer mit Blick auf die pastorale Praxis, existentiell berührend zur Emmaus-Perikope. Ich zitiere: „Sie hat seit jeher viele Leser angesprochen und gilt als die schönste Ostergeschichte. Die Wertschätzung ist vor allem durch den Inhalt bedingt. Er handelt von zwei Menschen, die unterwegs sind; ihr Gespräch kreist um die menschlichen Themen Hoffnung und Enttäuschung; von dem unaufdringlichen, vertrauenserweckenden Fremden vernehmen sie eine Belehrung, die ihnen Trost bedeutet; an ihn ihre allgemeingehaltene und zugleich tiefsinnige Bitte ‚Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden’; damit laden sie ihn ein, die Gemeinschaft des Weges und Gesprächs in der Mahlgemeinschaft fortzusetzen; dabei erkennen sie ihn und nach ihrer Rückkehr vernehmen sie – als Bestätigung – die Osterbotschaft. Christliche Leser erkennen sich in der so lebensecht erzählten Handlung mühelos wieder.“ So weit Jacob Kremer.

 

Mir selber ist an der heutigen Ostererzählung noch klarer geworden, wie sehr und wie lange mich dieser Text schon leitet und begleitet. Emmaus: So viele Arbeitskreise, Tagungen, Methoden, Bibel-Seminare. Emmaus: So viel überraschend Neues, und doch jedes Mal dieselben dreiundzwanzig Verse…

 

Um dem „Kenn-ich-schon“ Effekt vorzubeugen, mache ich mir davon eine Fotokopie und gehe damit hinaus, ins Freie. Ich will mir etwas „auf-gehen“ lassen, mit dieser „Fort-geh“- und „Zurück-komm“-Geschichte. Zuerst ist mir dieser Entschluss gar nicht leicht gefallen: Der Aufnahmetermin im Funkhaus rückt rasch näher! Doch als ich draußen bin und gehe, wirklich bewusst gehe, da „geht“ es los, das „schrittweise“ Verstehen. Schon der erste Vers packt mich: Zwei Menschen, die „miteinander gehen“; die sich von Jerusalem „ent-fernen“; die „sechzig Stadien“ vor sich haben, etwa zwölf Kilometer oder gute zwei „Weg-Stunden“, wie die neue Luther-Übersetzung angibt. Im dritten Vers lässt Lukas Jesus „näher kommen“ und „mit-gehen“. Neben „sprechen“, „sich ereignen“, „austauschen“ als wichtigstes Tunwort „gehen“, immer wieder „gehen“. örer

 

Und mit einem Mal spüre ich, dass auch der Weg etwas mit mir tut. Er entsteht nicht nur im Gehen, sondern liegt vor meinen Füßen, er zieht und lockt mich, er führt mich, lässt mich zu mir selber kommen. Mein kleiner Weg weist über sich hinaus. „Weg“ – ein Ursymbol meines Lebens. Hodós heißt er im Griechisch des Neuen Testaments, ein Femininum wie die „via“ im Lateinischen der Vulgata. „Anhänger des (neuen) Weges“ nennt Lukas die Christen in seinem zweiten Werk, der Apostelgeschichte (9,2). 

 

Recht erfüllt komme ich von meiner kleinen Wanderung nach Hause. Ich schreibe mir auf, womit die beiden Emmausjünger bei ihrer Rückkehr nach Jerusalem empfangen werden: óntos egérthe o kýrios – „wahrhaft wurde erweckt der Herr“. Ein formelartiges Bekenntnis, das Lukas an das Ende seiner Erzählung setzt, verbunden mit der Oster-Erfahrung des Petrus: kaí óphte Símoni – „und er erschien dem Simon“. Sätze wie diese legen eine Spur, sie lassen meinen Glaubensweg sehr weit zurückreichen. Denn sie lenken meinen Schritt zur Jerusalemer Urgemeinde, zu den ersten Zeugen der anastasis, der Auferstehung. Ein „Fuss-Vokabel“, dieses Auferstehen, manchmal einzuüben, wie Marie Luise Kaschnitz sagt, „mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer atmenden Haut“.

 

Emmaus: Eine Tiefen-Erfahrung von Weg; Emmaus: die Geschichte einer Jesus-Begegnung; Emmaus: immer wieder faszinierend, auch für einen Autor wie Peter Handke. In seinem Buch „Die Abwesenheit“ (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1987) schreibt er: „Gehen. Die Erde treten. Freihändig bleiben. Ganz aus eigenem schaukeln. Fahren und gefahren werden nur in der Not. An den Orten, zu denen ich gefahren wurde, bin ich nie gewesen. Nur im Gehen öffnen sich die Räume und tanzen die Zwischenräume!“  Und etwas später heißt es bei Handke: „Das Gehen ist das freieste Spiel. Auf jetzt. Weg hier. Der Segen des Orts gilt nur für die Reise. Der Segen des Orts ist ein Gehsegen.“

 

Ich wünsche Ihnen viel Geh-Segen!