Erfüllte Zeit

09. 05. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die rechte Ordnung in den Gemeinden“ (1. Tim 2, 1 - 6a)
von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Er macht es einem nicht leicht, dieser so genannte erste Brief des Paulus an Timotheus.

 

Da ist ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des großen Apostels jemand in seine Rolle geschlüpft, um den eigenen Worten ein größeres Gewicht zu geben. Um als Paulus dem Mitarbeiter Timotheus Anweisungen zur Führung einer christlichen Gemeinde zukommen zu lassen. Tatsächlich dürfte der Brief irgendwo in Kleinasien verfasst worden sein, vielleicht im Umkreis des berühmten Märtyrer-Bischofs Polykarp von Smyrna, dem heutigen Izmir an der türkischen Westküste. Und wer den Brief genau liest, stellt fest: Er richtet sich gar nicht an einen Einzelnen, er richtet sich an die gesamte Christenheit.

 

Wie gesagt, der Brief macht es einem nicht leicht. Besonders nicht der Abschnitt, in dem es um das Gebet in einer Christengemeinde geht.

 

Für die Könige zu beten hat sich in unseren Breiten ja fast ganz erledigt, aber für „alle Obrigkeit“? Und noch dazu „damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können“? Mit spitzen Fingern werden diese Sätze von heutigen Auslegerinnen und Auslegern angefasst. Kein Wunder, wenn man an so manche - vorsichtig gesagt – „Meinungsverschiedenheiten“ zwischen Regierungen und Kirchen denkt. Etwa in Sachen Einhaltung der Menschenrechte in der Migrationsfrage. Kann da „ein ruhiges und stilles Leben“ kirchliche Zielvorstellung sein?

 

Aber das ist bereits der Kern der Sache. Es geht dem Verfasser des 1. Timotheusbriefes eben nicht nur um das ruhige und stille Leben an sich, es geht um ein Leben „in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“. Und diese Frömmigkeit zeigt sich in Verantwortung, in Verantwortung für alle Menschen, auch – und vielleicht gerade – für „die da oben“. Ihnen allen gilt das fürbittende Gebet der Gemeinde. Ein älterer Ausleger hat das so erklärt: „Diese Einstellung der Gemeinde zum Staat ist unabhängig von der politischen Stellung des Einzelnen und unabhängig von der politischen Lage; auch dem gottlosen, auch dem die Gemeinde verfolgenden Staat gegenüber bleibt diese Fürbitte voll in Kraft“ (J. Jeremias NTD 9, S.14f).

 

Man hat diese Haltung der frühen Christengemeinden „christliche Bürgerlichkeit“ genannt. Das ist nicht abschätzig sondern meint die Verantwortung, die die christlichen Bürgerinnen und Bürger ihrem Staat und ihrer Gesellschaft gegenüber verspürten. Dafür gab es zwei Gründe:

 

Der Erste Grund ist ein durchaus politischer: Die von den allerersten Christinnen und Christen erwartete baldige Wiederkunft des Herrn der Kirche und mit ihm das Ende der Welt hatten so nicht stattgefunden. Die Gemeinden hatten gelernt, sich mit den alltäglichen Gegebenheiten des Lebens auseinanderzusetzen. Sie waren neu auf ihre Welt verwiesen. Und dazu gehörte - und gehört noch - auch die „Obrigkeit“, egal, wie sie sich dem christlichen Glauben gegenüber verhält.

 

Den zweiten Grund kann man „zeitgeistig“ nennen. Eine tiefe Verachtung alles „Weltlichen“ war zur Zeit des 1. Timotheusbriefes bei den meisten mehr oder weniger Gebildeten „normal“ geworden. Die Weltanschauung der „Gnosis“, kombiniert mit Versatzstücken aus platonischer Philosophie, strebte nach Höherem als die Misere des gebeutelten römischen Reiches den Menschen bieten konnte. Man hob ab in die vermeintliche „Erkenntnis“ einer ganz anderen, besseren Sphäre, in der man sein Heil suchte. Das ist das direkte Gegenteil des biblischen Schöpfungsglaubens. Der spricht von einem Gott, der seine Schöpfung liebt. Es war ein weltabgewandter Selbsterlösungsversuch, der auch noch heute aus dem Gedankengebäude so mancher pseudoreligiösen Bewegung hervorlugt.

 

Fürbitte in Verantwortung für alle – für die verständnislosen Verfolger wie für die elitären Weltverächter. Der Christus, an den die christliche Gemeinde glaubt, hat sich für ausnahmslos alle Menschen in den Tod gegeben. Deshalb hat seine Gemeinde das Recht und die Pflicht, für die an sich selbst leidende Menschheit ohne Ausnahme Fürbitte zu tun. Der 1. Timotheusbrief schärft es ein: Darin zeigt sich die „Frömmigkeit“ einer Gemeinde, darin liegt auch ihre „Ehrbarkeit“. Und dass sie für sich um die Möglichkeit eines „ruhigen und stillen Lebens“ bittet, ist einer auf den Tod verfolgten Christengemeinde im Kleinasien des zweiten Jahrhunderts bis in den Irak unserer Tage bei Gott nicht zu verübeln.

 

Er macht es einem nicht schwer, der 1. Timotheusbrief, er macht es einem leicht. Er sagt: Es geht ganz einfach um alle. Und es geht um die eine Botschaft von dem einen Gott und dem einen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Und es geht darum, dafür zu beten, dass diese Wahrheit den Menschen hilft.