Erfüllte Zeit

16. 05. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

"Jesu Fürbitte für alle Glaubenden" (Johannes 17,20 – 26)

von Pfarrer Roland Schwarz

 

 

Wenn ich diesen Bibeltext vom Eins-Sein Jesu mit Gott und von der Einbeziehung der Glaubenden in diese Einheit höre, denke ich sofort an das Bedürfnis von Liebenden, einander zu umarmen. Wenn Menschen einander umarmen, dann tun sie das ja aus dem Bedürfnis heraus, mit dem anderen geradezu zu verschmelzen, eine Einheit mit ihm oder ihr zu bilden.

Das Johannesevangelium betont in vielen Texten die Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn, etwa an der Stelle, an der Jesus zu Philippus sagt: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen." (14,9). Es besteht eine letztlich nicht begreifbare Spannung zwischen Einheit und doch einer gewissen Differenz von Vater und Sohn.

 

Die Kirche hat das später in dem Glaubenssatz vom einen Gott in drei Personen festzuhalten versucht.

Diese Formulierung verleitet aber zu dem von Gläubigen anderer monotheistischer Religionen immer wieder geäußerten Missverständnis, es handle sich dabei doch letztlich um drei Götter im Christentum. Ein Versuch, das Einssein und die Einheit in Gott anders zu verdeutlichen, wäre die Rede vom einen Gott, jetzt aber nicht in drei Personen, sondern in drei Dimensionen. Denn wenn wir von den drei Dimensionen Länge, Tiefe und Höhe eines materiellen Körpers sprechen, dann meinen wir eben eine Ausdehnung in durchaus unterschiedliche Richtungen hin und doch bezweifelt niemand, dass es sich trotz dieser drei Dimensionen um einen einzigen Körper handelt.

 

Auf Gott bezogen bedeutet das: Gott Vater als die Dimension des Schöpfers ist so sehr Liebe, dass er in sich selbst Ich und Du ist. Liebe gibt es nur zwischen Ich und Du, so wie wir selbst uns gewissermaßen gegenübertreten, wenn wir sagen: "Ich liebe mich." oder wenn es in der Bibel heißt, man möge "den Nächsten lieben wie sich selbst" (Lev 19,18) bzw. Jonatan den David liebt "wie sein eigenes Leben" (1 Sam 18,1). Jesus verkörpert in dieser Sicht die Dimension des personalen mensch-gewordenen Du Gottes. Der Heilige Geist wiederum ist die Dimension der Begeisterung, der Freude in der Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn. Eine Beziehung wird ja auch unter uns Menschen erst dann wirklich interessant und spannend, wenn wir eine tiefe Freude und Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Du empfinden. Diese Dynamik der Liebe zwischen Vater und Sohn, dies ist die Dimension des Geistes.

 

Im heute gehörten Evangelium ist aber zudem etwas für uns ganz Bedeutsames festgehalten: Wir dürfen nicht nur an diese Einheit in Gott glauben, sondern wir sind in diese Einheit in der Liebe selbst mit hineingenommen, wenn wir dem Wort Jesu vertrauen.

 

Wir sind in diese Liebe zwischen Vater und Sohn einbezogen und können durch diese innige Verbindung auch untereinander diese Einheit und Liebe erleben. Wenn Menschen also einander umarmen, so erfahren sie dadurch etwas von dieser dreidimensionalen Liebe zwischen Ich und Du und der freudigen Sehnsucht nach dem anderen. Diese Erfahrung nennt Jesus bei Johannes "Herrlichkeit".

 

Freilich ist dies auch eine höchst gefährliche Sache: denn unter "Verherrlichung" ist in diesem Evangelium auch der Kreuzestod Jesu gemeint. Liebe ist hier nicht nur ein romantisches Gefühl, sondern die Bereitschaft, für den anderen sein Leben hinzugeben. Umarmung bedeutet das wohltuende Spüren der Nähe und Wärme des anderen, aber auch die Hingabe, das Verschenken.

Wenn wir in unseren Gemeinden solch eine Liebe leben – so verspricht es Jesus im heute gehörten Bibeltext – dann wird die Welt glauben, dass Jesus der Gesandte Gottes ist und dass wir genauso von Gott geliebt sind wie Jesus selbst.

 

An unserer Beziehungs- und Konfliktkultur in den Pfarrgemeinden hängt also nicht nur unser eigenes Wohlbefinden, sondern auch die Glaubwürdigkeit unserer Botschaft vor der nichtchristlichen Gesellschaft.