Erfüllte Zeit

13. 06. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Begegnung Jesu mit der Sünderin“ (Lk 7, 36 – 8, 3)

von Bernadette Spitzer

 

 

Dieses Evangelium löst wohl bei manchen, halbwegs auf Gleichberechtigung bedachten Menschen, zunächst Empörung aus. Jesus als Macho. Er lässt es nicht nur zu, dass ihm eine Frau die Füße wäscht, er lässt es sich sogar gefallen. Die Legitimierung der niederen Dienste für die Frauen in der Kirche? Und weil sich die Frau vor ihm erniedrigt, werden ihr die Sünden vergeben. Nicht nur ich frage mich wahrscheinlich: Muss man sich vor Jesus klein machen und ihm buchstäblich die Füße waschen, um Vergebung zu erlangen?

 

Der Name der Frau ist nicht bekannt. Sie wird die „Sünderin“ genannt. Sie hat also etwas getan oder tut es noch immer, was sie nach damaligem religiösen Gesetz von Gott trennt. Vielleicht ist sie eine Prostituierte, vielleicht macht sie mit den römischen Besatzern Geschäfte und das auch am Sabbat, oder sie übt einen anderen Beruf aus, der sie aus Sicht der Geistlichen unrein macht. Jedenfalls ist sie nicht arm, denn sie kommt mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl. Und das kann sich nicht jeder leisten.

 

Ihr Ziel ist Jesus. Um zu ihm zu kommen, riskiert sie, in das Haus des Gastgebers Simon, der ein Schriftgelehrter ist, nicht eingelassen zu werden. Kennt er doch die religiösen Gesetze, mit denen Jesus und die Menschen um ihn aufgewachsen sind, besonders gut.

 

Aber seltsam – sie begrüßt Jesus nicht, sie schaut ihn nicht einmal ordentlich an. Sie nähert sich ihm von hinten. Sie will zwar zu ihm, erwartet etwas von ihm, aber sie traut sich ihm nicht unter die Augen. Und – sie weint. Freudentränen sind es vermutlich nicht. Es sind eher die Tränen über ihr Leben. Wer weiß, vielleicht haben sie sich durch Jesu Gegenwart zum ersten Mal gelöst. Sprechen kann die Frau darüber nicht. Von der Sünderin ist kein Wort überliefert. Vielleicht, so denke ich mir, macht sie ihr innerer Schmerz sprachlos.

 

Aber offenbar ist es für Jesus auch nicht nötig, dass sie spricht. Er weiß, wie es ihr geht. Er nimmt sie ernst und lässt sie gewähren, das machen, was auch ihr gut tut.

 

Die Tränen der Sünderin fallen auf seine Füße. Wohl unbeabsichtigt. So etwas kann man nicht planen: „Ich gehe hin, weine und wasche ihm mit meinen Tränen die Füße.“ Es passiert einfach. Die Frau hat nichts bei sich, also trocknet sie Jesu Füße mit ihrem Haar, küsst sie und salbt sie schließlich mit dem Öl, das sie mitgebracht hat. Sie verrichtet die Arbeit, die Sklaven tun, nämlich dem Gast die staubigen Füße zu waschen.

 

Jesus hindert die Frau nicht: „Lass das. Ist doch eh nicht so schlimm.“ Er nimmt sie in ihrem Schmerz ernst und spürt daher, dass es ihr gut tut, für ihn da sein zu können. In seiner Gegenwart, in seiner Nähe ist sie geborgen und findet letztlich Befreiung.

 

Was sich Leises, Inniges und Liebevolles inmitten der fröhlichen und sicher nicht leisen Tischgesellschaft abspielt, verstehen die anderen Gäste und auch Gastgeber Simon nicht, weshalb Jesus sein Verhalten erklärt, wie immer in einfachen und klaren Worten: „Wer viel sündigt, der braucht viel Vergebung.“  Die Sünderin braucht also viel Vergebung, sie muss viel Liebe erfahren, um aus ihrer Schuld zu kommen, und diese Liebe schenkt er ihr. Aber auch sie selber kann etwas tun. Sie ist liebesfähig und kann liebend aus ihrer Sündenspirale kommen. Ihre Art, Jesus ihre Liebe zu zeigen, ist eben die Fußwaschung.

 

Dass der Sünderin die Sünden vergeben werden, liegt also meines Erachtens nach nicht daran, was sie Jesus tut, sondern warum. Sie tut es aus Liebe. Und er nimmt ihr Handeln nicht an, weil er sich darin gefällt, sondern weil er ihre Liebe zulassen will, aus Liebe zu ihr. Weil Jesus eben, und davon bin ich überzeugt, kein Macho ist.