Erfüllte Zeit

04. 07. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Botschaft vom Kreuz“

(Korinther 1, 18 – 25)

von Superintendent Hermann Miklas

 

 

Ja, ja, die Weisheit der Experten…

Wenn all ihre alt, blass und farblos gewordenen Lehren zu stinken begännen – von der Müllhalde der Ideologien würde ein so bestialischer Gestank aufsteigen, dass wir darin glatt umkommen müssten, hat Hugo von Hofmannsthal einmal sinngemäß gemeint.

 

Die Dichterin Margarete Hannsmann drückt es etwas poetischer aus, wenn sie sagt: „Ich sah die wechselnden Wahrheiten wie Wolken vorüberziehen – und sich verändern. Zug um Zug verloren, was ich gerade gewonnen hatte. Immer rascher machte ich alles falsch – (und auch wieder) alles richtig…“

 

Noch ohne die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts stieß einst der Apostel Paulus bereits in ein ähnliches Horn: „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Und ist nicht die Torheit Gottes immer noch weiser als die Weisheit der Menschen?“

 

Wir schreiben das Jahr 53 nach Christus. Für gut zwei Jahre lebt der Apostel in der antiken Kulturmetropole Ephesos (der Stadt mit dem berühmten Artemistempel, einem großen Theater und einigen Kurbädern). In Ephesos gerät Paulus übrigens in Konflikt mit der Branche der Devotionalienhändler – einem für die Region höchst bedeutsamen Wirtschaftszweig.

 

In dieser Zeit erreicht ihn auch ein Brief aus Korinth. Korinth – eine viel weniger „feine“, sondern eher eine „verruchte“ Hafenstadt. Einige Jahre zuvor hatte Paulus dort ebenfalls eine christliche Gemeinde gegründet. Jetzt aber scheint es unter den Christen von Korinth ziemliche Streitigkeiten zu geben. Vordergründig geht es dabei um die Zugehörigkeit zu bestimmten Führungspersönlichkeiten – dahinter aber stehen auch Lebenshaltungen. Vor allem dreht es sich um die Frage: Wie viel Anpassung an den Mainstream der Gesellschaft verträgt der christliche Glaube? Ja wie viel benötigt er vielleicht sogar?

 

In seinem Antwortschreiben (dem sogenannten 1. Korintherbrief) geht Paulus ausführlich auf die Fragen der Korinther ein. So behandelt er etwa eine Reihe von ethischen Problemen. Wobei er prinzipiell dafür plädiert, dass viele Entscheidungen dem persönlichen Gewissen der Einzelnen überlassen bleiben sollen und sich niemand als Richter über die Anderen aufspielen möge. Andrerseits aber fordert der Apostel schon ein, dass sich Christinnen und Christen in ihrem Lebenswandel positiv von ihrer Umgebung abheben sollten und nicht jeder neuen Strömung gleich begeistert nachlaufen.

 

Und genau das ist auch seine Linie in den Grundfragen der Weltanschauung. Es mag in unseren Ohren vielleicht ein bisschen pessimistisch klingen – aber Paulus ist sicher kein engstirniger Dialogverweigerer, der alle Philosophien (außer seiner eigener) in Bausch und Bogen verurteilen würde. Im Gegenteil: Im Grunde seines Wesens ist Paulus ein klassischer Intellektueller. Er hat einen weiten Horizont – doch gerade deshalb weiß er auch, wovon er spricht, wenn er den vielen als „unumstößlich“ geltenden Wahrheiten dieser Welt bestenfalls eine relative Gültigkeit zubilligt.

 

Ob es um ein gesundes ethisches Volksempfinden geht (wie etwa in Korinth), um ökonomische Sachzwänge (wie in Ephesos), oder auch um theologische Denkschulen (wie bei den Schriftgelehrten seiner Heimat) – all die ach so überzeugenden Meinungsmuster kommen und gehen; manchmal sind sie harmlos, manchmal tatsächlich klug, oft genug auch verführerisch, gefährlich – fast immer aber kurzlebig. („Ich sah die wechselnden Wahrheiten wie Wolken vorüberziehen…“). Darum ermutigt Paulus die Korinther nachdrücklich: Hängt euer Herz nicht dran! Habt den Mut, auch gegen den Strom der diversen geistigen Modetrends zu schwimmen!

 

Stattdessen malt der Apostel seinen Leserinnen und Lesern immer wieder das Leben und Sterben Jesu Christi vor Augen. Und er macht gar kein Hehl daraus, dass es sich beim Evangelium von Jesus Christus im Grunde um eine sehr schlichte Botschaft handelt. Aber auch um eine sehr elementare. „Ja, ich weiß“, sagt Paulus, „das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden (die nicht dran glauben) – uns aber, die wir selig werden (die wir daran glauben) ist´s eine Gotteskraft!“

 

Was das Wort vom Kreuz von den meisten anderen Weisheiten unterscheidet, ist, dass es nicht auf einem Fundament von Überlegenheit und Stärke aufbaut, sondern auf der Paradoxie eines scheinbar schwachen Gottes. Eines Gottes, der sich aus Liebe zu uns Menschen aufgeopfert hat – das ist in der Tat eine intellektuelle Zumutung: „Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“. Aber Paulus wäre nicht Paulus, würde er nicht selbst die Paradoxie noch argumentativ zuspitzen: „So ist die Torheit Gottes eben weiser als die Menschen sind und die Schwachheit Gottes stärker als die Menschen sind“.

 

Wie viele Menschen schwören nicht auch im 21. Jahrhundert wieder auf „ihre“ speziellen Wahrheiten. Experten, die diese auch noch „wissenschaftlich“ untermauern, finden sich fast immer. Drum meint man, sich gar nicht mehr damit auseinandersetzen zu müssen, dass womöglich auch die eigene Ideologie einmal faulen könnte und schließlich auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt werden müsste.

 

Dem gegenüber erscheint das Wort vom Kreuz auch heute noch als eine ausgesprochen „schlichte“ Botschaft. Während es durch viele Jahrhunderte eine Art selbstverständlicher Gültigkeit hatte, die praktisch unhinterfragt blieb, hat man in Europa inzwischen begonnen, sich des Evangeliums von Jesus Christus – als einer etwas skurrilen Torheit – teilweise wieder zu entledigen. Oder es neuerlich als echtes Ärgernis zu empfinden (was dem Anliegen Jesu letztlich übrigens gar keinen so schlechten Dienst erweist).

 

So manchen Zeitgenossen aber wird das Wort vom Kreuz verstärkt auch wieder zur Gotteskraft. Jedenfalls hat es im 20. Jahrhundert einigen Menschen die Kraft gegeben, den Verführungen heimtückischer Ideologien mutig zu widerstehen – ganz im Sinn des Apostel Paulus. Möge es das auch künftig tun.