Erfüllte Zeit

05. 09. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Leben der Christen im Geist“ (Römer 8, 14 – 17)

von Pfarrer Olivier Dantine

 

 

Dieser Abschnitt des Römerbriefes macht uns wieder einmal bewusst, was für ein großer zeitlicher und auch geistiger Graben uns manchmal von einem einfachen Verständnis biblischer Texte trennt. Vor allem die Sprache und die Wortwahl sind uns fremd. „Wer nach dem Fleisch lebt, wird sterben müssen.“ Das klingt nach dem, was den christlichen Kirchen immer wieder vorgeworfen wird: Überkommene Moralvorstellungen gerade was die Sexualität betrifft oder überholte Forderungen nach asketischem Lebenswandel.

 

Auch wenn Paulus eher asketisch gelebt hat und er auch seine Ehelosigkeit als idealen Stand, wohlgemerkt für die Endzeit kurz vor der Wiederkunft Christi, hervorhebt: Hier geht es ihm nicht um eine wie immer geartete Leibfeindlichkeit.  Paulus teilt den Menschen nicht in Leib und Seele oder Geist auf, das biblische Menschenbild geht immer von deren Einheit aus. Dass der Geist also wichtiger sei als der Körper ist nicht die biblische Sicht des Menschen. Und es geht Paulus hier auch nicht um moralische Fragen.

 

Der Zusammenhang, in den Paulus hier die Unterscheidung vom Leben nach dem Fleisch und dem Leben im Geist stellt, ist der des Leidens. Es geht um den Umgang mit Anfeindung und Verfolgung, ein Thema, das Paulus, der selbst immer wieder angefeindet wurde, immer wieder anschneidet. Und gerade in diesem Zusammenhang geht es Paulus hier um die Grundorientierung des Lebens.

 

Und da stellt Paulus sehr wohl einen scharfen Gegensatz auf. Leben nach dem Fleisch ist Leben in der Herrschaft des Todes. Das Leben im Geist wiederum führt zum Leben. Dieser Gegensatz erinnert freilich daran, dass alles irdische Leben vergänglich ist. Genau diese banal erscheinende Erkenntnis ist aber der Ausgangspunkt für die Argumentation des Paulus. Es geht eben nicht um eine Abwertung des Leibes, um eine Abwertung des Irdischen, aber Paulus stellt das Absolut-Setzen des Irdischen in Frage. Leben nach dem Fleisch sucht seine Götzen im Irdischen. Es ist ein Leben in der Illusion, sich gegen alles und jedes versichern zu können. Leben nach dem Fleisch ist ein Festhalten an den vergänglichen Gütern, zum Beispiel ein Leben, wie es auch heutzutage immer wieder kritisiert wird, in dem sich alles um Profitmaximierung dreht. Dass auch Geld vergänglich ist, haben wir ja gerade in den letzten beiden Jahren deutlich erlebt.

 

Auch der Körperkult in unserer Gesellschaft ist Ausdruck eines Lebens nach dem Fleisch. Zwar werden alte Menschen durchaus geschätzt, wenn sie aber etwa in der Werbung vorkommen, dann sind es meistens vitale, jugendlich frisch wirkende, aktive Senioren. Auch im Alter ist die Jugend also hochzuhalten. Ich frage mich manchmal, ob das nicht genauso Leibfeindlichkeit ist, wenn man sich unter Einsatz von moderner Medizin gegen den natürlichen Alterungsprozess wehrt.

 

Leben nach dem Fleisch setzt also auf Vergängliches, auf Sterbliches. „Wer nach dem Fleisch lebt, wird sterben müssen.“ schreibt Paulus dazu. Und weiter: „Aber wenn ihr durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben.“  Die Frage, die Paulus bewegt, ist, was einen im Leben trägt, gerade in Zeiten des Leidens, in Zeiten der Verfolgung und der Anfeindung. In diesen Krisenzeiten, in der die Vergänglichkeit allen Irdischen besonders deutlich wird, wird vielleicht am ehesten bewusst, was Paulus hier meint. Das Leben nach dem Fleisch kann einen nicht mehr tragen, glücklich ist also, wer sich von dem Leben nach dem Fleisch lösen kann. Es ist der Geist Gottes, der einen tragen kann. Ein Geist, der uns nicht zu Knechten macht, sondern zu Kindern Gottes.  

 

Paulus verwendet hier Begriffe aus dem antiken Adoptionswesen. Wer adoptiert ist, ist im selben Verhältnis zum Vater wie ein leibliches Kind. Weil wir also von Gott adoptiert sind, sind wir nicht Knechte Gottes, sondern seine Kinder, seine Erben. Leben im Geist Christi heißt demnach von Gott als sein Kind angenommen sein. Und genau dieses Angenommen sein durch Gott ist das Unvergängliche im Gegensatz zum Vergänglichen, zum Leben im Fleisch. Wer sich von Gott angenommen weiß, der weiß sich auch in der Anfechtung, auch im Leid von Gott getragen. Mir erzählen immer wieder Menschen, die schweres durchgemacht haben, dass ihnen die vertrauensvolle Zuwendung zu Gott Kraft gegeben hat. Vom Leid und von den Schmerzen zwar nicht erlöst, fühlen sie sich doch getragen. Und viele erzählen auch vom Leben nach der Krise als einem Leben, in dem ganz anderes wichtig ist als vorher. Vergängliches verliert an Bedeutung. Offenbar gilt auch heute: wer zu Gott vertrauensvoll „Abba, lieber Vater“ beten kann, leidet deswegen nicht weniger, aber er oder sie hat eine Perspektive über das Leid hinaus, über dieses Leben hinaus.

 

Es ist die Hoffnung auf die Auferstehung, die Paulus ausdrückt, wenn er schreibt, dass „wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden“. Diese Hoffnung auf die Auferstehung darf nicht als eine Vertröstung auf ein Jenseits verstanden werden. Die Hoffnung auf die Auferstehung verändert das Leben hier und jetzt. Wenn wir im Geist Christi, also in der Hoffnung auf die Auferstehung leben, dann sind wir gewiss, dass wir von Unvergänglichem getragen werden.

 

Wir müssen nicht krampfhaft an unserem Leben festhalten, schon gar nicht an vergänglichen Gütern.  Und so können wir ein befreites und gelassenes Leben führen, ein Leben in der Hoffnung auf die Auferstehung, ein Leben im Geist Christi.