Erfüllte Zeit

26. 09. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der reiche Prasser und der arme Lazarus“ (Lukas 16, 19 – 31)
von Franz Küberl

 

 

Der Stoff aus dem diese Parabel ist, führt eine herausfordernde Sprache, die jenes Maß an Reibung und Ärgernis beinhaltet, das vor christlicher Kleinbürgerlichkeit bewahren mag.

 

Liest man die Geschichte im Rahmen des Lukas-Evangeliums, wird ihre Ausrichtung klar: Es geht nicht um die Verdammung des reichen Mannes – er ist verdammt „genug“ – sondern um ein Leben, das reich ist für Gott und die Menschen. Es geht auch nicht darum, Armut zu veredeln, sondern Türen in eine bessere Zukunft zu öffnen. Schon gar nicht geht es darum, den großen Gerechtigkeits-Ausgleich im Jenseits zu erwarten, sondern jetzt und hier verantwortet zu leben. Auf sehr eindrückliche Weise kritisiert diese Geschichte jene Menschen, die ihren Reichtum alleine für sich selbst haben wollen. Die Erzählung tröstet aber auch die, die nichts haben und stellt „Mose und die Propheten“ als Autoritäten vor, denen nichts vorzuziehen ist.

 

Der Theologe Francois Bovon der Jesus – und wohl auch Lukas eine pädagogische Absicht zuschreibt - meint denn auch, Hörer und Leserinnen würden aufgefordert, „ein Schicksal zu wählen, das weder dem des Reichen im Jenseits noch dem des Armen im Diesseits entspricht“. Aber wie soll das gehen?

 

Es gibt die Vision vom gerechten Staat. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Es braucht auch die Vision vom gerechten Menschen, der in der Lage wäre, die Voraussetzungen für ein gerechtes gesellschaftliches Miteinander  zu schaffen. Es gibt heute eine ziemlich heftige Debatte darüber, ob man noch glauben kann oder will. Ich weiß schon, meine Kirche hat neben vielen tollen Initiativen eine Menge an Unbilden und Entsetzlichkeiten produziert, die nicht wenigen Menschen das Glauben in Gemeinschaft verleiden oder gar verunmöglichen.

 

Aber Hand aufs Herz, das heutige Beispiel vom Reichen und vom Armen, könnte es nicht mithelfen, dass man weniger oder gar nicht daran glauben mag, dass Gott alle anderen Menschen gleich liebt wie mich, und ich ja dazu eingeladen bin, alle anderen Menschen als gleich anzuerkennen, weil dadurch erst mein Glaube an Gott lebendig wird?

 

Ist es da nicht leichter, nicht zu glauben, nicht zu teilen, nicht für gerechtere Lebensumstände auch anderer Menschen zu sorgen? Für Arbeitslose, für Bettler, für Arme, für Roma, für Hungernde auf die Barrikaden zu steigen, für Asylwerbende, für Einsame, für behinderte Kinder und deren sorgengeplagte Eltern, für Afrikaner, die im Elend leben müssen? Gegen Gewalt, Unterdrückung, Hass?

 

„Die Geschichte ist eine große Lehrmeisterin. Sie lehrt dauernd, findet aber keine Schüler“, sagte die einzigartige Ingeborg Bachmann. Wir sollten sie widerlegen.

 

Übrigens: Man steht nur auf zwei Beinen gut, dem materiellen und dem immateriellen Bein. Natürlich, Menschen brauchen materielle Voraussetzungen für ihr Leben. Sie müssen wohnen, essen, sich kleiden können, sie brauchen Geld für eigene Bildung und die Bildung der Kinder. Man muss vorsorgen für die Unabwägbarkeiten des Lebens, Krankheit, Alter, Pflege. Es gibt aber auch immaterielle Werte, wie Liebe, Freiheit, das Schöne im Leben, das Musische, das Künstlerische. Glaube, Demokratie, Natur, Freundschaft, Charismen, Talente. Wir alle, davon bin ich überzeugt, brauchen diese Dimensionen des Lebens um atmen zu können, aber wir können sie nicht kaufen.

 

Man kann also an materiellen Werten reich sein – aber natürlich auch an immateriellen Dingen. Zeit, Wertschätzung, Wissen, Fähigkeiten – auch sie stehen auf dem Prüfstand der Teilungsbereitschaft.

 

Vielleicht beginnt der Abbau prasserhaften Denkens und Verhaltens ganz leise. Einen Armen kennen, einen Menschen, an dem das Leben mit seinen Aufstiegsmöglichkeiten vorübergegangen ist. Mit ihm oder ihr zu reden, zuzuhören, freundlich zu sein. Ein Gespür dafür entwickeln, dass man die Lebenschancenauswertung glückhafter angehen konnte. Ein Gespür dafür entwickeln, dass das Teilen Dreh-und Angelpunkt von mehr Gerechtigkeit und mehr an Mitmenschlichkeit ausmacht.

 

Genau das macht das Wesen der Nächstenhilfe aus: Ihre Stärke ist die individuelle Begegnung persönlicher Not. Dabei geht es darum, Hilfe und Unterstützung von Angesicht zu Angesicht zu leisten. Denn nur wenn ich meinem Vis-a-vis wertschätzend und in Würde begegne, ermögliche ich ihm, Hilfe jenseits von Almosen anzunehmen. Das konkrete Tun ist der Trumpf der Nächstenliebe. Der Beitrag ist immer situativ und richtet sich nach dem Bedarf des Notleidenden.

 

Benedikt XVI. nennt in seiner „Antrittsvorlesung“, der Enzyklika „Gott ist die Liebe“, einen revolutionären Begriff vom Nächsten: „Jeder, der mich braucht und dem ich helfen kann, ist mein Nächster“. Der Begriff der Nächstenliebe wird damit nicht zum Ausdruck einer unverbindlichen Fernstenliebe, sondern verlangt meinen praktischen Einsatz hier und jetzt.

 

Der italienische Schriftsteller Claudio Magris hat heuer in Salzburg auf ein weit verbreitetes Drama unter den Menschen hingewiesen: „Es gibt nicht nur das Wissen und das Unwissen. Es gibt auch das Nicht-Wissen-Wollen“. Das Nicht-Wissen-Wollen sei eine größere Schuld als die Lüge, denn es sei Selbstbetrug – eine Pervertierung des eigenen Bewusstseins. Es ist wichtig, sich großen Fragen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Reichtum und Armut zu stellen. Bei uns in Österreich, aber auch in den Ländern des Südens, wo Armut aber auch Elend Massenwirklichkeit sind.

 

Der gottbegnadete Jesus, so wie ich ihn verstehe, hat einen grundlegenden Wunsch an unser Miteinander-Leben. Kraft zum Teilen der Ressourcen dieser Welt, damit alle leben können, die Einebnung des Unterschiedes zwischen den Reichen und den Armen. Das ist das Tor zum Himmel. Als Ausgangspunkt seiner Botschaft, dass vor ihm – Gott – alle Menschen gleich sind? Und deswegen wir Menschen voreinander alle gleich sind? Dass alles einmal gut werden werde? Wer es fassen kann, fasse es, wer jetzt etwas tun kann, tue es.