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Erfüllte Zeit14. 11. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Ankündigung der Zerstörung des Tempels“ (Lukas 21, 5 - 19) von Prof. Dr. Josef Schultes
Vor kurzem war ich mit einigen Reiseleitern in Tunesien. Die Informations-Tour sollte einem ersten Kennenlernen von Land und Leuten dienen. Klar, dass auch Karthago am Programm stand. Meine Spannung war hoch, hatte ich doch seit Gymnasialzeiten im Ohr: Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam – Karthago müsse zerstört werden, von Cato dem Älteren penetrant wiederholt, am Ende seiner Reden im Senat. Auch wenn es für diesen kolportierten Appell keinen genauen literarischen Beleg gibt: Historisches Faktum ist der Untergang dieser antiken Metropole, im Dritten Punischen Krieg. Scipio als Oberbefehlshaber schleift alle Tempel, seine römischen Söldner lassen in Karthago keinen Stein auf dem andern.
„Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen werden“ (V.6), so heißt es auch im heutigen Bibeltext. Wohl steht hier eine andere Hauptstadt, nämlich Jerusalem, im Brennpunkt. Wohl wird hier ein anderer Tempel seiner Schätze beraubt und niedergebrannt, nämlich jener, den Herodes der Große so prachtvoll ausgestalten ließ. Doch die Großmacht dahinter, die jeden Widerstand in Blut erstickt, bleibt dieselbe: Das Imperium Romanum. Hier personifiziert in Vespasians Sohn Titus, der mit vier Legionen Jerusalem angreift. Nach monatelanger Belagerung wird die Stadt erobert, vor allem aber der Tempel bis auf die Grundmauern zerstört. Geschehen im Jahre 70 nach Christus.
Ein bis zwei Dezennien später, zwischen 80 und 90 nach Christus, verfasst Lukas sein Evangelium. „Wenn ihr aber seht“, so Jesus im lukanischen Wortlaut, „dass Jerusalem von einem Heer eingeschlossen wird, dann könnt ihr daran erkennen, dass die Stadt bald verwüstet wird“ (V.20). Was da der Evangelist als ein künftiges Schreckens-Szenario Jesus in den Mund legt, ist also bereits harte Realität. Übrigens: Unmittelbar vor dem eben zitierten Vers steht der heutige Evangelientext.
Dieser Abschnitt bildet den ersten Teil der sogenannten „apokalyptischen Rede“, der letzten großen Rede Jesu. Sie findet sich schon im Markus-Evangelium und ist dort als Jünger-Belehrung am Ölberg stilisiert, gerichtet an Petrus und Jakobus, an Johannes und Andreas. Lukas, der sich sonst sehr genau an die Vorlage des Markus hält, führt weder Ort noch Jüngerkreis von damals an. Vielmehr lässt er Jesus mit seiner „Rede über die Endzeit“ auf die veränderte Situation der Kirche reagieren.
Denn bei Lukas verdichten sich die Hinweise auf Verfolgung durch jüdische und römische Instanzen: „Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen“ (V.12a), so die Einheitsübersetzung. Besser die Luther-Bibel, besonders im sprachlichen Duktus: „Aber vor diesem allen werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen“. Und dann, nicht mehr wie bei Markus erst ein Geschehen der Endzeit, sondern bereits der Gegenwart: „Sie werden euch überantworten den Synagogen und Gefängnissen und euch vor Könige und Statthalter führen – um meines Namens willen“ (V.12b). Ein Blick in die Apostelgeschichte, das zweite Werk aus der Feder des Lukas, zeigt, wie sehr die junge Kirche das Geschick Jesu teilen muss. Und ähnlich wie Stephanus, der erste Märtyrer, sollen sich auch die Jünger nicht unnütze Sorgen machen um ihre Verteidigung. „Ich nämlich“, so betont das griechische Original, „ich werde euch geben stoma, Mund und sophia, Weisheit, der nicht werden widerstehen oder widersprechen können alle eure Gegner“ (V.15).
Ermutigend und aufbauend die abschließende Zusage, die sich gleichfalls nur bei Lukas findet: „Euch wird kein Haar gekrümmt werden“ (V.18). Und als kraftvolles Finale, von der Moll aller irdischen Bedrängnisse in die leuchtende Dur der Bewährung modulierend: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“ (V.19).
Verfolgt werden um meines Glaubens willen: Ich habe es selber nie erlebt. Ich kenne es aber von meinen Besuchen in Ländern des ehemaligen Ostblocks. Und wie froh bin ich als einer, der an der Grenze zu Tschechien geboren ist, dass die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang gefallen sind. Kein Stein ist auf dem andern geblieben: Seit einigen Jahren hat sich für mich ein apokalyptisches Bild in ein Zeichen der Hoffnung verwandelt…
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