Erfüllte Zeit

12. 12. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Frage des Täufers“

(Matthäus 11, 2 – 11)
von Gunter Prüller-Jagenteufel

 

 

Bist Du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? Aus dieser Frage, klingen Hoffnung und Zweifel gleichermaßen. Worauf soll ich mich einstellen? Worauf kann ich mich einlassen?

 

Den Hintergrund für diese Frage bildet eine Krisensituation: König Herodes hat Johannes den Täufer verhaften lassen, jetzt geht es ihm an den Kragen. Zu sehr hatte er sich mit ihm und den Mächtigen angelegt; er war unangenehm geworden, letztlich sogar gefährlich – die Mächtigen schätzen Unruhestifter nicht und die Brutalität des Herodes, wenn es galt, seine Macht zu sichern, war sprichwörtlich – Augustus soll gesagt haben, es wäre besser des Herodes Schwein zu sein als sein Sohn. Johannes und seine Anhänger rechnen also mit dem Schlimmsten – und da stellt sich die Frage nach der Bilanz: Was ist aus der Botschaft des Johannes geworden, die da lautete: "Die Gottesherrschaft ist nahe?" Alles nur Einbildung und Schimäre?

 

Jesus selbst hat wohl eine Zeit lang zum Kreis um Johannes gehört, geht dann aber andere Wege; seine Botschaft von der Gottesherrschaft schlägt einen neuen Ton an. Johannes hat ein umfassendes Strafgericht Gottes angekündigt, forderte Buße und Umkehr; Jesus dagegen verkündet die Nähe Gottes, die allen gratis zuteilwerden soll. Ohne Ausnahme allen, besonders aber den Armen und Ausgeschlossenen. Dem entsprechend muss man sich die Gruppe um Jesus auch vorstellen: Einfache ungelernte Handwerker die meisten, einer hatte früher mit den Römern kollaboriert, ein anderer war ein politischer Extremist und Revolutionär gewesen – nicht unbedingt die Leute, mit denen Staat zu machen war.

 

Bist Du es also, oder nicht? Bist Du der Messias, der Gottes Herrschaft aufrichtet und dafür sorgt, dass die Logik Gottes wieder gilt? Jesus sagt nicht ja oder nein – er verweist einfach auf das, was alle sehen können: Kranke und Gebrechliche werden geheilt, Leid und Tod werden überwunden – damit verweist Jesus auf den Propheten Jesaja, der genau mit diesen Worten den Anbruch der messianischen Zeit beschreibt. Damit bietet der Evangelist seinen Lesern zugleich eine Deutung an für all die Heilungsberichte der vorangegangenen Kapitel: Die ersehnte Heilszeit der Gottesherrschaft hat endlich begonnen.

 

Für mich ist eines besonders bemerkenswert: Alle, die hier aufgezählt werden, leiden an körperlichen Gebrechen und erfahren leibhaftige Hilfe. Wenn Kranke geheilt werden, dann ist Gottes Handeln leib-haftig spürbar. Nicht Seel-Sorge, sondern Leib-Sorge ist es, was Jesus umtreibt und was Gott mitten in der Welt erfahrbar macht – übrigens genau der Auftrag, den Jesus kurz vorher seinen Gesandten mitgibt: Krankheiten zu heilen und Leiden zu lindern.

 

Aber es geht noch einen Schritt weiter: "Den Armen wird das Evangelium verkündet." Damit ist nun nicht ein bestimmtes Glaubenssystem von christlichen Kirchen gemeint, sondern "Eu-Angelion" heißt "gute Nachricht" – nicht mehr, nicht weniger. Gute Nachrichten waren damals so rar wie heute. Für die Armen ist eine gute Nachricht noch seltener als für Wohlhabende, dafür aber sehr einfach: Ein Dach über dem Kopf, ein voller Teller, die Kinder nicht hungrig ins Bett schicken müssen – heute nicht anders als vor 2000 Jahren. Das Erste Testament wird nicht müde, den Armen eben das zuzusagen. Im Psalm, der heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird, heißt es: "Recht schafft er den Unterdrückten, den Hungernden gibt er Brot; der Herr macht die Gefangenen frei. [...] Der Herr beschützt die Fremden, Waisen und Witwen hilft er auf."

 

Das ist es: Recht für die Unterdrückten, Brot für die Hungernden, Freiheit für die Gefangenen, Schutz für die Fremden und die Rechtlosen. Wir sind heute gewohnt, das für fromme Worte zu halten. Fromme Worte stören niemanden. Wenn aber einer damit ernst macht, dann sieht die Sache schon anders aus. Bei uns wird man dann schon einmal als "Gutmensch" verunglimpft; in anderen Weltgegenden ist es ernster, dort ist der Einsatz für die Armen lebensgefährlich. Daran erinnert mich das Wort Jesu: "Selig wer an mir keinen Anstoß nimmt", im Original: Wer dadurch nicht "skandalisiert" wird. Der Skandal ist, dass es Jesus zuerst um die geht, die nichts gelten: Arme, Kranke, Behinderte, sogar Tote – und Ausländer: Alles Leute, die in der Gesellschaft der Etablierten und Erfolgreichen keinen Platz haben, die an den Rand gedrängt, marginalisiert werden. Die Botschaft lautet: Wenn Gott seine Herrschaft antritt, wenn also die Gesetze Gottes gelten, dann rücken genau die ins Zentrum.

 

Wenn Gott seine Herrschaft antritt, dann bedeutet das nicht die Vernichtung der Bösen, sondern Heilung und Gerechtigkeit – vor allem für die Nutzlosen und die Habenichtse, für die, die nichts gelten, weil sie nichts leisten und nichts haben. Unter denen, die sonst nichts mehr zu hoffen haben, kann wirklich Gott wirksam werden – und zwar ganz leibhaftig.

 

In wenigen Tagen feiern Christinnen und Christen eben das: Weihnachten – das bedeutet die Ankunft Gottes in menschlicher Gestalt. Ein leibhaftiger Gott, der den Menschen leibhaftig spürbares Heil, Heilung bringt. Der evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer, ein unbestechlicher Widerstandskämpfer gegen den Nazi-Terror, hat es so formuliert: Die Christen sind nicht aus der Welt befreit, sondern in die Welt hineingestellt – um denen Raum zu geben, die in der Welt keinen Platz haben, die an den Rand gedrängt und abgeschoben werden – alle die nicht zu den sogenannten "Leistungsträgern" gehören: Die Kranken, Behinderten, Armen, Ausländer ... So, nur so, können Christen das Evangelium von Gott verständlich machen, der ganz menschlich in unsere Welt getreten ist – für die Armen, vorzugsweise. Und die Reichen? Ich sehe hier auch für mich, der ich nicht arm bin, eine Rolle: Die gute Nachricht für mich ist, dass auch ich Gott begegnen kann, wo ich mich in den Herrschaftsbereich Gottes hineinstelle, wo ich heilend tätig werde für die, die mich brauchen, wo ich solidarisch bin mit denen, die leiden – woran auch immer. Dort bricht auch für mich Gottes Herrschaft an – ganz leibhaftig.