Erfüllte Zeit

19. 12. 2010, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Geburt Jesu“ (

Matthäus 1, 18 – 24)
von Wolfgang Treitler, Fundamentaltheologe in Wien

 

 

Eine seltsame Geschichte bringt der letzte Sonntag vor Weihnachten. Viele kennen sie gut. Man hat sie gehört und wiedergehört. Josef und Maria in einer eher finsteren Szene. Sie sieht recht unschuldig aus, er träumt schlecht, ein Engel kommt in der Nacht, man wird erinnert an Abraham, bei dem auch Engel gekommen sind, und danach gibt es ein Kind.

 

Zu all dem vermerkt Matthäus heute noch den seltsamen Satz: „Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von Maria zu trennen.“

 

Da fallen zwei Dinge auf.

Josef, ihr Mann – zwei Sätze davor waren die beiden erst verlobt. Ist man da schon Mann und Frau im Sinn der Ehe? Man hat sich einander versprochen, verheiratet ist man noch nicht. Leben sie unverheiratet zusammen? Wenn ja: Wie lange? Und was taten sie in jener Zeit, dass Josef so schlecht träumen ließ? Oder was tat er nicht, so dass er dann so schlecht träumte?

 

Fragen wie diese gehören in den voyeuristischen Alltag von Menschen heute. Unverheiratete christliche Liebespaare, die zusammenleben, sind Opfer solcher Fragen; Priester mit Haushälterinnen ihres Alters ebenso; Geschiedene und Nicht-Wiederverheiratete haben durch solche Fragen oftmals ein schweres Leben vor sich. Denn es gibt die eifrigen Denunziatoren und Denunziatorinnen, die am liebsten durch die Schlüssellöcher blicken, hinter denen sie das vermuten, was sie in ihrer krummen oder boshaften Phantasie sich zusammen reimen – und womit sie dann gar manchen Menschen zur Strecke gebracht haben, damals wie heute auch noch.

 

Matthäus kannte diese christlichen oder eigentlich unchristlichen Fragen und schützt seinen Josef. Doch der Schutz scheint recht zweifelhaft zu sein, denn es heißt: Josef ist gerecht und will sich heimlich von Maria trennen. Also doch so einer, der das christliche Schlüssellochinteresse auf sich zieht. Er haut einfach ab, wahrscheinlich in der Nacht, die plötzlich eine ganz andere Bedeutung gewinnt. Gestern vielleicht eine Nacht des Glücks, und heute schon die Nacht des Verrats.

 

Aber genau das denkt sich wahrscheinlich weder Matthäus noch sein Josef. Die Gerechtigkeit des Josef besteht wohl genau darin: Er deckt Marias mögliche Schande – ein uneheliches Kind – nicht auf, er denunziert nicht, er läuft nicht als pseudo-gerechter Laie zum nächsten Priester, reibt ihm diese Geschichte nicht hinters Ohr; er provoziert auch keine Fragen über Vorkommnisse, die wirklich niemanden etwas angehen außer die Betroffenen. Er versucht, das Heimliche zu schützen, das ihm schlechte Träume bereitet, und rettet damit Maria und das Kind.

 

Ja, Josef ist gerecht. Gerechter als fast alle andern, von denen erzählt wird, und für die Jesus-Geschichte mindestens so wichtig wie Maria. Er ist gerecht, weil er Lebensgeheimnisse schützt und sie nicht auf den Markt der Schlagzeilen wirft. Und vor allem: Er ist kein selbstgerechter Denunziant, von denen es in den Religionen allzu viele gibt.

 

So kann es Weihnachten werden. Und ich will mir heuer wünschen, dass Josefs große menschliche Haltung zum Stern dieser Weihnachtszeit wird.