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Erfüllte Zeit16. 01. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Das Zeugnis des Täufers für Jesus“ (Johannes 1, 19 – 34) von Pater Gustav Schörghofer
Wenn mein Neffe erzählt, gebraucht er Ausdrücke und stellt sprachliche Beziehungen her, von denen ich keine Ahnung habe. Er ist gut dreißig Jahre jünger als ich. Aber auch dem Bericht meines gleichaltrigen Bruders kann ich öfter nicht folgen, wenn er von seiner Arbeit erzählt. Er ist Banker. Ich bin Priester. Sonntag für Sonntag steh ich am Altar, hebe Kelch und Hostie und sage zu hunderten von Menschen mir gegenüber: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt.“ Ob sie mich verstehen? Vielleicht geht es ihnen genauso wie mir, wenn mein Neffe oder der Bruder erzählen.
Johannes sieht Jesus auf sich zukommen und sagt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ Warum sagt Johannes nicht: Seht, das ist mein Verwandter Jesus aus Nazareth, hört ihm zu, er sagt euch, wie ihr ein erfülltes und angstfreies Leben führen könnt. Warum redet Johannes so kompliziert? Und warum muss ich am Altar so kompliziert reden, dass mich sicher kaum jemand versteht? Was sagen wir eigentlich?
Die Sprache beschreibt nicht nur Vorhandenes, sie stellt Beziehungen her zu weit Zurückliegendem, zu fernen Bildern, fremden Erfahrungen, zu einer Fülle von Abwesendem. Verstanden wird das von den Menschen, die dieses Abwesende kennen, die zumindest eine Ahnung davon haben, was mit ihm gemeint ist. Der Satz vom Lamm Gottes erinnert an eine Stelle im Buch Jesaja. Dort ist vom Knecht Gottes die Rede und es heißt: „Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen. Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.“ (Jes 53, 6 - 7) Da ist von einem die Rede, der die Konsequenzen des Handelns anderer zu tragen bereit ist. Die anderen begehen Fehler, sie machen sich schuldig, er übernimmt die Verantwortung, er trägt die Folgen. Er macht das ohne Klagen, still, ohne Vorwurf. Die Gestalt dieses Gottesknechts hat Jesus für sich als Vorbild übernommen. Er ist dieser Knecht Gottes geworden. Und Johannes erkennt in diesem Knecht Gottes den Auserwählten Gottes, seinen Sohn.
Das war vor zweitausend Jahren. Aber heute, was hat das heute zu bedeuten? Sehr viel, wie ich meine. Denn diese Knechte Gottes gibt es auch heute. Unser aller Leben wäre ohne sie nicht vorstellbar. Ich denke an die vielen Menschen, die bereit sind, die Konsequenzen des falschen, ja des verbrecherischen Handelns anderer zu tragen. Die das tun ohne Vorwurf, aus Verantwortung für die anderen. Kein Staat könnte bestehen, wenn es diese Menschen nicht gäbe. Die Wirtschaft bräche zusammen. Auch die Gemeinschaft der Kirche würde ohne diese Menschen von ihrer eigenen Unzulänglichkeit und Falschheit aufgerieben werden.
Im Zentrum des christlichen Glaubens steht eine erschreckende, eine erschütternde Erkenntnis: Gott schickt nicht einen Retter in diese Welt, der durch überlegene Fähigkeiten alles Verkehrte in Ordnung bringt. Gott wirkt nicht von außen in das Durcheinander der Welt hinein, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Nein, es ist ganz anders. Gott geht – in und mit Jesus von Nazareth - in diese Welt ein, er nimmt die Folgen des verfehlten Tuns auf sich, er leidet, er gibt sein Leben. Wir wissen, dass es vielen Menschen, dass es auch Tieren und Pflanzen so ergeht. Aber Gott, ist es bei ihm auch so? Die Rede von Gott kommt hier an ein Ende. Und sie kommt mit dem „Lamm Gottes“ an einen neuen Anfang.
„Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ – der Satz weist auf etwas hin, das ich als unverständlich und irrelevant beiseite lassen kann. Ich kann aber dem Hinweis auch folgen. Dann führt mich der Satz in eine weite Welt, hin zu Jesaja und seinem Gottesknecht, hin zu Johannes und zu Jesus, zu Schafen und Hirten, zu Lämmern und Schlächtern, zu jenen, die zum Opfer bereit sind und jenen, die bereit sind, andere zu opfern. Es ist ein weiter Weg durch die Geschichte der Menschheit, die Geschichte der Welt. Er führt mich zuletzt zu mir. Ich muss eine Antwort geben. Bin ich selber zum Opfer bereit? Oder bin ich bereit, andere zu opfern? Wie gern würde ich dieser Frage ausweichen. Aber es geht nicht. Das Leben selbst stellt sie. Und Gott. Aber dass es Gott ist, und dass mich die Frage zu ihm führt, weiß ich erst, wenn ich eine Antwort gegeben habe. Ich muss eine Antwort geben.
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