Erfüllte Zeit

23. 01. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Erstes Auftreten in Galiläa“ (Matthäus 4, 12 – 23)
von Pater Gustav Schörghofer SJ

 

 

Mit einem Fischerverein hat es angefangen. Wie es aussieht, haben diese ersten Jünger ihren Beruf nicht gleich ganz aufgegeben, sondern zuerst eine Art berufsbegleitende Jüngerschaft praktiziert. Sie verfügten noch über Boote und haben nach dem Tod Jesu mit dem Fischen weitergemacht. Aber das war noch fern. Angefangen hat alles verheißungsvoll. Zuerst volle Netze, eine gewaltige Steigerung der Fangquote, und dann: Menschenfischer sollen sie werden.

 

Wenn ich Menschenfischer höre, läuten die Alarmglocken. Nach Menschen wird heute ja überall gefischt. Konsumenten, Kunden, Verbraucher sind gefragt, sie werden umworben mit allen Mitteln der Verführungskunst, an Köder wird nicht gespart und nicht an Einfällen. Die Menschenfischerei ist inzwischen zu einem die Welt umspannenden Unternehmen geworden. Nirgendwo ist man vor ihr sicher, überall sind die Netze gespannt. Zum Glück – wirklich zum Glück, muss ich sagen – benehmen sich die Vertreter des kirchlichen Fischervereins ausgesprochen unbeholfen in diesem Feld der gewandten Angler und Netzewerfer. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, so richtig smarte Apostel, aber die sind mir nicht ganz geheuer. Das Evangelium bieten sie wie elegante Schuhe oder unwiderstehliche Parfüms an. Doch das kann mit dem Reich Gottes oder dem Reich der Himmel, von dem Jesus sprach, wohl nicht gemeint gewesen sein.

 

Was aber war gemeint? Warum vollziehen diese Fischer eine innerberufliche Neuorientierung, wie man heute sagen könnte? Da muss doch etwas zu entdecken gewesen sein, das mehr war, als auf den See hinausfahren und Fische aus dem Wasser ziehen. Bei mir war es ja auch nicht ganz anders. Ich hätte ja auch ein biederer Kunsthistoriker bleiben können, wenn da nicht etwas dazwischen gekommen wäre. Es kommt immer etwas dazwischen, bei jedem und jeder von uns.

 

Ich liebe es, wenn ich im Frühjahr zum ersten Mal wieder den Duft der Lindenblüte rieche. Oder wenn ich im Herbst die erste aufgeplatzte Kastanie entdecke. Oder im Winter der erste Schnee die Welt verzaubert. Im Sommer der Duft von Heu in der heißen Luft. Oder die Farbe reifen Korns. Mag der Himmel auch noch so grau über der Welt hängen, mit einem Mal reißt die schwere Decke auf und gibt den Blick auf etwas frei, das immer gegenwärtig ist, nur nicht immer unmittelbar wahrnehmbar. So ist es auch mit dem Himmelreich oder dem Reich Gottes, beide Ausdrücke bedeuten das gleiche.

 

Jesus von Nazareth hat auf etwas hingewiesen, hat etwas gegenwärtig gemacht, das der Aufmerksamkeit meistens entgeht. Beschrieben hat er diese Wirklichkeit nur in Gleichnissen, in Bildern, die etwas umstellen, etwas, das sie zeigen und zugleich verhüllen. Über diese Wirklichkeit lässt sich nicht verfügen wie über ein Auto, ein Bankkonto oder manchmal auch eine Frau, einen Mann. Sie entzieht sich. Sie zeigt sich nur denen, die bereit sind, auf sie einzugehen. Die also, wie unsere Fischer, bereit sind, ihre Boote zu verlassen, das Gewohnte und Vertraute aufzugeben und etwas aufs Spiel zu setzen. Was setzen sie aufs Spiel? Ihre Zeit, ein Stück ihres Lebens. Sie gehen mit, sie hören zu. Es geht ihnen dabei mitten im Gewohnten, im Vertrauten eine neue Welt auf. Die Freuden und die Nöte bleiben, aber in all dem schwingt etwas anderes mit, ist etwas bisher Ungehörtes, Ungeschautes wahrnehmbar. Etwas, das den Einsatz des Lebens lohnt. Etwas, das dazu befähigt, die Häuser des Gewohnten zu verlassen und im Freien, Offenen zuhause zu sein.

 

Diese Erfahrung machen jede und jeder, die sich auf die Beziehung zu einem anderen Menschen wirklich einlassen. Jede und jeder machen sie, die bereit sind, dem Anderen, dem Fremden Raum zu geben, ihn zu entdecken, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Wahrscheinlich hausen viele Menschen am Rand des Wunders und merken es nicht.

 

Mit einem Fischerverein hat es begonnen. Herausgekommen ist die Kirche. Sie besteht aus Menschen, die im Vertrauen auf Jesus ihre alten Boote verlassen haben und bereit sind, Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden. Er ist in allem zu entdecken, wie eine Farbe, eine Melodie, ein Duft. Wer das erfahren will, muss immer wieder eigene Erfahrungen und Vorstellungen verlassen, alles Gewusste und Beherrschte, um sich hellsichtig und aufmerksam dem Entgegenkommenden zu öffnen. So habe ich es jedenfalls erfahren. Es ist leicht. Es ist die Übung eines ganzen Lebens. Immer schön und reich und neu.