Erfüllte Zeit

30. 01. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Seligpreisungen“

(Matthäus 5, 1 - 12a)
von Gerhard Langer

 

 

Die sogenannten Seligpreisungen gehören zu den bekanntesten und am häufigsten zitierten Stellen des Neuen Testaments. Am See Genezareth gibt es einen Ort, den man „Berg der Seligpreisungen“ nennt. Hier ließ der italienische Architekt und Mönch Antonio Barluzzi 1937 eine imposante Kirche aus Basalt und weißem Kalkstein errichten. César Franck widmete den Seligpreisungen ein Oratorium, Arvo Pärt ein Stück und Wilhelm Kienzls Version aus dem Evangelimann ist zumindest älteren Zuhörerinnen und –hörern sicher noch mit dem eindringlichen „Selig sind, die Verfolgung leiden…“ gut vertraut. Inga Rumpf hat 1999 mit „Walking in the Light“ eine Gospel-Vertonung der Seligpreisungen herausgebracht.

 

Die Botschaft jener neun Sätze ist recht eindeutig, auch wenn ihre genauere Bedeutung vielleicht gerade deshalb immer wieder diskutiert wird. Was in der deutschen Übersetzung gern mit „selig“ übersetzt wird, entspricht dem hebräischen „aschrei“ und dem Griechischen „makarios“, was man mit „glücklich“ wiedergeben könnte. Selig ist freilich nicht falsch, kommt es doch vom althochdeutschen salig, was eben so viel wie „glücklich, zum Glück bestimmt, gesegnet, heilbringend, heilsam, auch fromm“ bedeutet. Damit ist ein Glück gemeint, das letztlich in Gott seinen Ursprung hat, mit seinem Segen in Verbindung steht, der ganz konkret zu verstehen ist. Während heute der Begriff der Seligkeit aber gern eine Art überirdischer Enthobenheit von Verwicklungen und Sorgen meint, erdet uns das Wort Glück. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat das Recht auf Glück (Pursuit of happiness) sogar als Grundwert verankert. Woran denken wir bei Glück? Ich denke, ehrlich gesagt, immer öfter an einen Lottosechser, oder wenigstens an ein Brieflos, das nicht „leider kein Gewinn“ enthält. In der Bergpredigt des Matthäus klingt alles ganz anders. Durchaus überraschend, wer hier als glücklich bezeichnet wird: Arme und Trauernde werden genannt, Menschen mit reinem Herzen, dann die Gewaltlosen, Friedensstifter und Barmherzigen und schließlich diejenigen, die Gerechtigkeit ersehnen und um ihretwillen sogar verfolgt werden. Alle verbindet die Nähe zu Gott, der Anteil am Himmelreich und großer Lohn. Die Formulierungen verbieten aufmerksam Lesenden und Hörenden, nur an eine Vertröstung auf eine jenseitige Welt zu denken, auch wenn der Aspekt einer gerechteren Welt nach dieser mit bedacht wird. Wie schon in den großen biblischen Vorbildern, den Psalmen, etwa im Psalm 1, ist bei Matthäus sehr wohl gemeint, dass die Menschen schon im Hier und Heute das alternative von Gott gewollte Glück spürbar erfahren können.

 

Eigenartig ist, dass in der ganzen Geschichte des Abendlandes, das viele so gern vom Christentum geprägt wähnen, diese Definition des Glücks meist als jenseitige Vertröstung, viel zu selten aber als gesellschaftliche und damit auch politische Botschaft verstanden wurde. Die Armen häufen sich auch hierzulande, die Menschen, die sich für Frieden einsetzen, werden gern als naive Spinner denunziert und die Hoffnung auf Gerechtigkeit scheint heute in einer öffentlich sanktionierten Ellbogengesellschaft mehr denn je eine Utopie. Die Bergpredigt spricht eine andere Sprache. Und Matthäus begnügt sich nicht mit dem Preisen der Hilflosen, Armen, Ohnmächtigen. Er erwähnt ganz bewusst jene, deren aktives Engagement für Frieden und Gerechtigkeit zur Verfolgung führt. Wie schon im Psalm 1 spielt bei Matthäus die Gerechtigkeit eine zentrale Rolle. Sie steht nämlich im Gegensatz zum scheinbaren Recht der Macht und führt deshalb zu Verfolgung durch die Mächtigen. Denn diese, für die grundsätzlich immer die Unschuldsvermutung gilt, beugen das Recht, nützen seine Schlupflöcher und ihre eigene Position, um sich unangreifbar zu machen. Bei Gott haben sie freilich schlechte Karten, wie es scheint. Die Seligpreisungen des Matthäus - so wie ich sie verstehe - haben bis heute kein bisschen an Aktualität und Prägnanz verloren.

 

Auf tragische Weise ist auch der letzte Satz wieder konkret spürbar. Denn das „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet“ wendet sich direkt an die Anhänger Jesu. Ihre Verfolgung ist heute in vielen Teilen der Welt erneut Realität. Die Seligpreisungen sollten meines Erachtens daher nicht nur Trostcharakter haben, sondern auch Appell sein, Aufruf zur Solidarität und zur Wahl zwischen scheinbarem Glücksstreben und wirklich dauerhaften Werten. Die Entscheidung ist nicht immer einfach, aber letztlich beglückend.