Erfüllte Zeit
06. 02. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Preis der Erhabenheit Gottes“ (Jesaja 40, 12 – 25)
von Pfarrerin Ulrike Wolf-Nindler
Was ist, wenn man die Anhaltspunkte in seinem Leben verliert? Wenn
man verliert, was einem heilig, ja das Allerheiligste überhaupt,
ist? Und wer gibt einem Antworten, die in den neuen Lebens-, bzw.
Glaubensumständen weiterhelfen?
Diese immer gleichen Fragen aller Ratlosen, die in verzweifelter
Situation nach Halt suchen, haben wohl auch jenen Propheten des 6.
vorchristlichen Jhdts. umgetrieben, der Deuterojesaja, der 2.
Jesaja, genannt wird. Das Volk Israel lebte damals, nach der
Zerstörung Jerusalems durch den babylonischen Herrscher Nebukadnezar
II. im Exil im Zweistromland: Es war ein Leben, unterdrückt, mit
wenig Hoffnung auf Rückkehr oder Besserung; ein Leben ohne
Perspektive.
Das bedeutete: Man sehnte sich nach
einem Ort, den es in der gedachten Art längst nicht mehr gab;
vermisste schmerzlich das Gewohnte, alt Bekannte. Und dazu zählte
eben auch der religiöse Mittelpunkt, der Tempel mit dem
Allerheiligsten. Zwar konnte man teilweise auch in der Fremde die
Traditionen pflegen und mit ihnen die Erinnerung an die
Vergangenheit erhalten, doch rückte die mit der Zeit wohl in eine
ideale, irreale Ferne, wohingegen einst Negatives allmählich in
Vergessenheit geriet.
Das veränderte nach und nach die
Stimmung: Mochten die einen im Vergleich mit dem Vorfindlichen nur
Defizite sehen, ihr Leid und die Ungerechtigkeit beklagen - sie
starben mitsamt ihren Erinnerungen. Die anderen hingegen, die
Jüngeren, richteten sich allmählich ein. Sie gründeten Familien in
ihren Siedlungen, feierten Feste und eigene Gottesdienste, im
mühsamen Versuch, neue Heimat mit Geborgenheit, neues
Zugehörigkeitsgefühl zu finden. Dazu gehörte gewiss auch das
Interesse an Babylon mit seinem kulturellen, religiösen und
gesellschaftlichen Leben, und man nahm wahr, wie allen Orts die
goldnen und silbernen Götterbilder angebetet wurden.
Die einen fragten es vielleicht müde,
resigniert, die anderen verunsichert und voller Zwei-fel: Was wäre,
wenn der äußeren Verbannung eine innere, geistliche, entspräche?
Was, wenn unser Gott im fremden Land machtlos ist? Denn warum sonst
schreitet er nicht endlich ein?
Was soll ein Prophet den Verbannten
antworten, die zwar die Botschaft Gottes einst einmal gehört haben,
aber sich nun ihres Glaubens nicht mehr sicher sind?
Deuterojesaja antwortet in Form einer
Komposition der Bestreitung mit vorher gehenden rhetorischen Fragen:
Er zeigt auf den Sternenhimmel in seinem Glanz, dorthin, wo auch die
Astrologen Babylons hinzeigen, um aus dessen Bewegungen die
Weltereignisse und das Schicksal abzulesen.
„Wer hat alles geschaffen, Israel?“ fragt er. „Und wer kann es
ermessen?“ – Nicht Marduk ist es, der Gott Babylons, sondern dein
Gott, der dich seit Urzeiten begleitet.“ Und nicht ohne spöttischen
Unterton deutet der Prophet die babylonische Neujahrsliturgie an,
die beschreibt, wie Götterstatuen angefertigt werden. Den Gott
Israels hingegen kann man nicht in einer Statue vergegenwärtigen,
weder erobern noch seine Wirksamkeit vernichten. Denn er allein ist
einzigartig und er ist gnädig: Er hat über alle den Himmel wie ein
Zeltdach ausgespannt. So geht und wohnt er an allen Orten mitten in
seinem Volk. Er ist in Ewigkeit ein- und derselbe, ein großer Gott
der Befreiung aus aller Herrschaft von Menschen über Menschen! Seine
Kraft ist nicht nur auf die Vergangenheit bezogen, sondern auch auf
die Gegenwart und Zukunft. Das ist die neue Perspektive.
Dieser Lobpreis der Erhabenheit Gottes ist geprägt von sehr, sehr
viel Respekt: Das ist nicht die Art, Gott kumpelhaft zu begegnen;
vielmehr sind Raum und Weite wichtig, um auch das Fremde,
Distanzierte, Unerträgliche zuzulassen.
Und mir wird bewusst, dass es wahrlich eine Übung der Demut ist,
diesen Text mit allen Konsequenzen innerlich zu lesen. Denn es
bedeutet auch in drückender Lage, dann, wenn Gott sich verbirgt, und
die Welt voller Fragen steckt, zur Einsicht zu kommen, dass man nur
ein winzig kleiner Teil ist, in der unendlichen Geschichte Gottes
mit seinem Volk.
Nein, nicht Gott verweigert dir die Antwort, sondern du bist einfach
zu klein, Mensch, um die große Antwort Gottes zu erfassen!
Dazu auch meine bisherige, persönliche Erfahrung: Am Anfang einer
schweren Krise schaue ich wie in einen Spiegel, und sehe nur mich
selber in meiner Not. Aber mit der Zeit nehme ich allmählich auch
mein Umfeld wahr. Und manchmal, in einem Augenblick der Gnade, zeigt
sich dann ganz kurz der Tiefengrund aller Dinge, - Gott.
So kann es immer sein, dass ein Gotteslob gerade auch aus einem
„Warum“ oder einem „Dennoch“ heraus erwächst, weil es sich
vertrauensvoll an vergangene Verheißungen erinnert.
Denn haben nicht manche schon in aussichtloser Lage die mutigsten
Gedanken, die tiefsinnigsten Klagen, die stärksten Trostworte und
das innigste Lob gefunden?
|