Erfüllte Zeit

13. 02. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Vom Gesetz und von den Propheten“ (Matthäus 5, 17 – 37)
von Gerhard Langer

 

Der Evangelist Matthäus konzentriert die bedeutendsten Weisungen Jesu auf eindrückliche Weise in den drei Kapiteln fünf bis sieben, der sogenannten Bergpredigt. Denn wie einst Mose am Sinai, begibt sich Jesus in der Schilderung des Matthäus auf einen Berg, um die zentralen Botschaften des Lebens vor Gott mit überzeugender Glaubwürdigkeit zu übermitteln. Er macht dabei von Anfang an klar, dass er nicht im Gegensatz zur Überlieferung der jüdischen Bibel steht, die dieses Ereignis am Sinai interpretiert und für den Alltag der Menschen greifbar macht.  Jesus betont vielmehr, dass genau seine Interpretation der Tora des Mose diese in ihrer vollen Bedeutung erfasst. Nicht das kleinste Gebot darf aufgehoben werden. Diese Feststellung ist umso bedeutender, als sich die folgenden radikal formulierten Aussagen Jesu auf zentrale Lebensbereiche konzentrieren, die in der jüdischen Tradition als besonders gewichtig gelten, die Beziehung zu Gott, die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Tötungsverbot. Es mag daher zweifellos hart klingen, dass es keine Entschuldigung für jene gibt, die beginnen, es in den kleinen und scheinbar unbedeutenden Bereichen des Lebens nicht so genau zu nehmen, sich darauf hinauszureden, dass es ja Wichtigeres gebe, Bedeutenderes, und eine kleine Verfehlung nicht so schlimm sei. Aber Jesus neigt, wie es scheint, grundsätzlich nicht zu faulen Kompromissen. Er bestärkt in den darauf folgenden Aussagen deutlich, dass seine Interpretation der Tora den Menschen fordert, seinen ernsthaftesten Einsatz erwartet. Jede einzelne seiner energisch formulierten Vorgaben stellt eine immense Anforderung an die Menschen, die sie befolgen sollen. Ich bezweifle ernsthaft, ob irgendjemand es schon geschafft hat, ganz nach diesen Regeln zu leben. Wer hat noch nie einen Menschen, der ihn ärgerte, einen Idioten geschimpft, welcher Mann noch nie eine schöne Frau mit gewissem Begehren angesehen, wer noch nie dem größten Widersacher Schlechtes gewünscht? Es genügt ja nicht einmal, einem Gegner aus dem Weg zu gehen, fordert Jesus doch auf, sich mit ihm offensiv zu versöhnen. Und wer hat noch nie etwas geschworen? Wer hat sich dann schon die Hand abgeschlagen, mit der er einen beleidigenden Brief oder ein böses Mail oder SMS geschrieben hat, wer das Auge ausgestochen, das neidvoll auf etwas blickte, was man einem anderen nicht gönnte? Keine Angst, liebe Hörerinnen und Hörer, ich möchte hier keine Gewissensprüfung durchführen, zumal ich wohl der Allerletzte wäre, der sie bestände. Aber wie dann umgehen mit den Vorgaben Jesu? Soll man sie als ohnehin nicht lebbar einfach vergessen, sie als übermenschlich verdrängen? Oder wollen wir sie als eine Art Binnenethik für besonders auserwählte, von Gott begnadete Menschen engführen und uns auf unsere Schwäche als Normalsterbliche ausreden? Das eine wie das andere scheint mir zu kurz zu greifen. Die Worte Jesu sind ein Aufruf zu einem Verhalten, das sich in seltener Klarheit für eine Welt einsetzt, in der Konflikte nicht mit Gewalt ausgetragen, sondern schon bei ihrem Entstehen durch offensive Friedenspolitik ausgeräumt werden, eine Welt, in der Frauen als gleichberechtigte Partnerinnen ernstgenommen und nicht zu Sexualobjekten degradiert werden, eine Welt, in der Transparenz und Klarheit Schwüre und Eide unnötig machen. Es ist aber auch eine Welt, die Konsequenzen für das Handeln voraussetzt. Was immer wir tun, hinterlässt Spuren, die sich letztlich auf uns selbst auswirken.

Im Laufe der Bergpredigt, die ja eine kunstvolle Einheit darstellt, lehrt Jesus uns auch das Beten zum Himmel. Dieses Vaterunser steht mit den heute vorgestellten Weisungen in engster Verbindung, zeigt es doch, dass aus der Kraft des Gebets, aus der Bitte um Gottes Beistand, der Mut und die Stärke zur Umsetzung der Gebote Gottes erwächst.