Erfüllte Zeit

20. 03. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Durchscheinen sehen, was noch nicht sichtbar ist - Die Verklärung Jesu“ (Matthäus 17, 1 – 9)

von Helga Kohler-Spiegel

 

 

An drei markanten Punkten auf Jesu Weg überliefern die synoptischen Evangelien diese Vision: Bei der Taufe am Jordan, am Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu (Mt 3, 17), am Kreuz, als alles gescheitert zu Ende scheint (Mt 27, 54), und hier in der Mitte des Weges. Und jedes Mal scheint etwas durch, in jeder Vision wird etwas zu sehen möglich, was noch nicht wirklich sichtbar ist.

 

Der Text selbst gibt ein paar Lesehilfen: Vers 1 und Vers 9 bilden mit Auf- und Abstieg vom „Berg“ die Klammer für diesen Textabschnitt. Die Dreiergruppe Petrus, Jakobus und Johannes ist klar hervorgehoben, Petrus als Sprecher etabliert. Sie erschrecken nicht bei der „Verwandlung“ Jesu, auch nicht beim Erscheinen von Mose und Elija, sondern erst bei der Vision der leuchtenden Wolke und der Stimme. Dies sind vertraute Motive, wenn Gott selbst sichtbar wird. Die Begegnung mit Gott lässt den Menschen erschrecken, das ist so. Jetzt aber, mit Jesus ist es anders: Bei der Geburt Jesu, nach seinem Tod – und jetzt: „Steht auf! Habt keine Angst!“ Jesus macht eine andere Erfahrung mit Gott sichtbar: Die Begegnung mit Gott lässt den Menschen „aufstehen“ und lässt die Angst verschwinden. Fast möchte ich sagen: Wenn dem nur so wäre! Ich denke an die leidvollen Erfahrungen der Menschen, die Religion und Glaube einschränkend, unterdrückend, verletzend erleben mussten. Die der christliche Glaube mitnichten aufstehen ließ…

 

Die Vision der „Verklärung“ ist eine intime Szene. Die drei engsten Jünger sind mit Jesus allein. Hier sind die drei Jünger noch wach, in Getsemani, in Jesu Angst und Verzweiflung werden sie schlafen… Sie sind „auf einem Berg“, wie es heißt, an einem Ort der Gottesnähe und Gottesbegegnung. Und da wird Jesus „vor ihren Augen“ verwandelt. Die Jünger können plötzlich Jesus in einem anderen Licht, in einem anderen Gewand sehen. Sie können plötzlich das Strahlende und Leuchtende erkennen, das in Jesus da ist, das mit Jesus erfahrbar wurde. In den Bildern klingt die Auferstehung an, auch wenn zugleich das bevorstehende Leiden schon spürbar wird...

 

Für mich ist das ein wunderschöner Gedanke: „Auf dem Berg“, in der Nähe Gottes ist es möglich, einen Menschen in einem anderen Licht zu sehen. Ich wünsche mir das manchmal, die Menschen, die mir lieb sind, so verwandelt sehen zu können. Ich wünsche mir manchmal, mich selbst und die Menschen um mich nicht nur im Alltag und seinen Belastungen zu sehen. Sondern dass manchmal, für einen Moment, durchscheinen kann, was ich, was sie auch sind: „Erlöste“, gelöst von dem, was Kummer macht und verhärmt, was Angst macht – gelöst von dem, was manchmal einfach grantig und missmutig macht.

 

Ich wünsche mir manchmal solche Momente der Verklärung, für mich und für die Menschen, mit denen ich lebe. „Lass es doch manchmal, für einen Augenblick sein, als ob wir gehen auf Flügeln – so wie Menschen gehen auf dem Weg zu einem Neubeginn. Dass wir sehen, noch Zeit unseres Lebens, einen Schimmer, einen Funken…“ So heißt es in einem Gebet von Huub Osterhuis (Um Recht und Frieden. Gebete im Jahreskreis, Düsseldorf 1989, 87) Einen Schimmer, einen Funken der Verklärung – dass ich sehen kann, was auch in mir steckt: Ein erlöster Mensch, aufgerichtet, ohne Angst.

 

„Drei Hütten wollen wir bauen“, sagt Petrus. „Zelte“ heißt es wörtlich. Auf dem Weg durch die Wüste ins Gelobte Land wohnte Gott in einem Zelt bei seinem Volk. Gott hatte seine Wohnung bei den Menschen. Erst in späterer Zeit wurde in Jerusalem der Tempel gebaut. Das Zelt schafft ein Zuhause und bleibt doch beweglich, es schützt und ist doch offen. Mose und Elija sollen Jesus zur Seite stehen, um seinen Weg zu gehen. Mose und Elija werden in der Tradition als erster und letzter Prophet verstanden. Zugleich steht Mose für die Weisungen und Elija für die Propheten, beide zusammen verkörpern also die gesamte biblische Tradition. Und beide, Mose und Elija, wurden nach ihrem Tod in den Himmel entrückt, ihre Wiederkunft wird vor dem Tag des Herrn erwartet. Mose und Elija machen deutlich: Jesus ist nicht allein. Sie sind religiöse Vorfahren, Ahnen im Glauben – sie sollen Jesus stärken auf seinem eigenen Weg. Wie schön, um die eigenen Vorfahren zu wissen, wie schön, Ahnen zu haben, die auf ihre Art den Weg gegangen sind – und mich als die Jüngere begleiten, ermutigen, stärken.

 

Jesus geht gestärkt durch diese Erfahrung seinen Weg nach Jerusalem. Leiden und Sterben werfen schon ihre Schatten voraus. Doch nach seinem Sterben wird sich erfüllen, was hier „auf dem Berg“ bereits erkennbar wurde. In dieser Verklärung Jesu scheint bereits durch, was noch nicht sichtbar ist – und doch ist im Glauben sichtbar: „Dies ist mein geliebter Sohn, dies ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung.“

 

Der Weg bleibt schwierig, für Jesus und für die Jünger. Sie kehren wieder zurück, in die Menschenmenge, die sie bereits wieder erwartete, voll Hoffnung, dass Jesus weiterhin ihre Kranken gesund machen wird. Es bleibt aber die Erfahrung: „Lass es doch manchmal, für einen Augenblick sein, als ob wir gehen auf Flügeln …“ Das wünsche ich Ihnen.