Erfüllte Zeit

27. 03. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gespräch am Jakobsbrunnen“ (Johannes 4, 5 - 42)

von Peter Paul Kaspar

 

 

Vorneweg eine böse Feststellung: Jesus macht sich im heutigen Bibeltext mehrfach verdächtig. Er spricht mit einer Frau, nur zu zweit. Allein das war damals schon ungehörig. Sie ist zudem Angehörige einer fremden religiösen Gruppe und zu allem Überfluss auch noch eine öffentliche Sünderin. Was kann ich als katholischer Priester schon dazu sagen? Als Funktionär einer Glaubensgemeinschaft, die sich als die einzig wahre Kirche Jesu sieht, in der die Frauen vom geistlichen Amt ausgeschlossen sind – und zu allem Überdruss als katholischer Priester, der sich ja überhaupt die Frauen mit spitzen Fingern vom Leib halten soll. Eigentlich müsste ich diesen Evangelienkommentar verweigern.

 

Andrerseits gebe ich gern zu, dass mich jene Bibelstellen besonders interessieren, in denen sich Jesus aus der Sicht der gesetzestreuen Juden, vor allem der Pharisäer, unkorrekt verhält. Wenn er etwa die vorgeschriebene Sabbatruhe bricht, um einen Kranken zu heilen. Oder – wie im heutigen Bibeltext – mit einer mehrfachen und öffentlichen Sünderin und andersgläubigen Frauensperson ungeniert Konversation über Gott und die Welt macht. Der gelegentlich ungehorsame Kirchenbeamte in mir pflegt sein Interesse an jenen Bibelstellen, in denen Jesus, der Jude, den damals üblichen jüdischen Religionsbetrieb kritisiert und eigenmächtig anders handelt, als man von ihm erwartet.

 

Denn in diesem Gespräch am Jakobsbrunnen, mit einer samaritischen Frau,

angesichts ihrer Männergeschichten und der vielen Gründe, als rechtgläubiger Jude und religiöser Lehrer das Gespräch zu verweigern, durchbricht Jesus die Spielregeln eines selbstgefälligen Religionsbetriebs. Er spricht mit ihr, voll Empathie – wie man das heute nennen würde. Aber zugleich aufrichtig, ohne Anbiederung und falsche Freundlichkeit. Gütig und streng zugleich. Ich versuche die Provokation in den heutigen Kirchenbetrieb zu übertragen und stelle mir einen katholischen Pfarrer vor, der zulässt, dass ein geschiedener und in zweiter Ehe lebender Musiker den Kirchenchor leitet, oder der die in lesbischer Beziehung lebende Religionslehrerin nicht beim Schulamt anzeigt.

 

Wer die Heilige Schrift nach erbaulichen Texten durchsucht, wird manchmal schwer enttäuscht. Provokationen und Irritationen durchziehen die Bibel, die im Kirchenbetrieb gern zur Erbaulichkeit entstellt wird. In der Textvorlage des heutigen Evangeliums für den Gottesdienstgebrauch der Lektoren und Pfarrer gibt es eine Kurzfassung, in der die fünf Männer der samaritischen Frau einfach herausgeschnitten wurden. Vielleicht will man auch nur den Pfarrer bei der Predigt nicht in Verlegenheit bringen. Man stelle sich den braven Gottesmann am Samstag bei der Predigtvorbereitung vor: Lieber Gott, wenn es schon eine Frau sein muss, noch dazu eine Ketzerin – muss sie dann auch noch einen derart lockeren Lebenswandel haben? Nein, nicht nur mit einem einmaligen Verhältnis oder einem heimlichen Freund – nein, mit fünf Verflossenen und dem jetzigen ohne Trauschein!

 

Die Bibel und der fragwürdige Umgang Jesu mit zwielichtigen Menschen macht es einem nicht leicht, ein guter katholischer Priester zu sein, der seinen Umgang auf die frommen Schäfchen seiner Herde beschränkt, der seinen Glauben gegen die Ketzer verteidigt und zu Frauen stets den gemessenen Abstand hält. Vielleicht steht deshalb der Priester bereits auf der Artenschutzliste des katholischen Kirchenbetriebs. Manche meinen, das Aussterben wäre das Beste, das diesem Beruf passieren kann. Denn das Gespräch mit der Samariterin steht nicht mehr im Pflichtenprogramm einer Kirche, die ihre schrumpfende Herde im pastoralen Notversorgungsprogramm mit reisenden Zelebranten versorgt. Vielleicht ist das Gespräch Jesu mit der Samariterin, einer multiplen Sünderin auf der Suche nach Wasser und Lebenssinn, ein Beispiel für das, was die gegenwärtige Kirche aufgibt: Die Seelsorge.

 

Der heutige Multiplexpfarrer im frühen Greisenalter an der Pensionsgrenze hetzt von Stille zu Stille, reibt sich auf zwischen den vielen Pflichtterminen seines multifunktionalen Betriebs und dem Wunsch, doch endlich wieder das zu sein, was er eigentlich werden wollte – ein Seelsorger. Er hört das Evangelium vom Gespräch Jesu mit der Samariterin und denkt sich: So einer wollte ich ursprünglich sein. Doch das Wasser bleibt im Brunnen, der Durst wird kaum mehr gestillt und die Kirche bleibt im Dorf. Da kommt dem hochwürdigen Herrn eine ketzerische Vision: Die Frau nimmt ein Schöpfgefäß und holt sich selbst ihr Wasser aus dem Brunnen. Sie bringt es ihrem Mann – auch wenn sie nicht mit ihm verheiratet ist. Vielleicht hat sie auch Kinder, die ihren Durst stillen wollen. Denn das Wasser, das lebendige Wasser, das ihren und den Durst aller, die hören wollen, dauerhaft stillen kann, will geschöpft werden. Von wem auch immer.