Erfüllte Zeit

03. 04. 2011, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Spaltung unter den Jüngern“ (Johannes 6, 55 – 65)
von Pfarrerin Lydia Burchhardt (Klagenfurt)

 

 

Die  Geschichte am Anfang des 6. Kapitels des Johannesevangeliums hat so richtig gut begonnen:

 

An den grünen Berghängen lagern 5000, - Frauen und Kinder gar nicht mitgezählt. Fünf Gerstenbrote und zwei Fische teilt Jesus aus. Und alle werden satt. Am Ende bleiben zwölf Körbe übrig, gefüllt mit Brot.

 

Am anderen Tag dann sind nach der Erzählung des Autors des Johannes-Evangeliums wieder viele Leute da. Es gibt heftige Gespräche. „Gestern habt ihr Brot gegessen“, sagt Jesus, „doch es geht um mehr: Um Brot, das nicht nur den Magen, sondern das Leben füllt. Nicht nur heute und morgen. Himmelsbrot eben. Davon will ich euch geben“. Die Zuhörenden sind sofort im Bilde: Na klar, ein Gleichnis! Und sie bleiben im Bild, wenn sie ihn bitten: „Herr, gib uns allezeit solches Brot!“.

 

Doch was ist gemeint mit „Himmelsbrot“? – Was könnte der Autor des Textes ausdrücken, mitteilen wollen? Die Antwort ist ein Schock: „Ich bin das Brot des Lebens …“, sagt Jesus, „Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe“. Und weiter: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch“. Dass er sich ihnen darbietet – zum Verzehr, das ist doch der Gipfel der Geschmacklosigkeit! Jesus redet beinahe mit kannibalischer Genüsslichkeit vom Herumkauen auf seinem Fleisch. Das ist so hart, dass sogar die Jünger ihm nicht mehr folgen wollen. Viele Bibelkundige werfen das Handtuch. Erst recht gehen aufgeklärte moderne Menschen da gern auf Distanz.

 

Doch da stehe ich nun heute früh mit diesem Evangelium. War vorher noch vom „Brot“ die Rede, ist es hier sein „Fleisch“ und sein „Blut“: „Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“, fragten sie ihn - damals. Ich denke, genau das schockiert auch die, die heute davon hören oder lesen.

 

Brot: wogende Kornfelder kommen in den Sinn, weißes Mehl, das durch die Hände gleitet, Teig, der sich gut kneten lässt, schließlich der Duft, wenn die Kruste sich in der Hitze bräunt. Das Brot schreit nicht, wenn man es schneidet. Doch „Fleisch“: Da klebt noch Blut am Messer. Es ist ein schreckliches Bild: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, … bleibt in mir und ich in ihm“ Tatsächlich wird für „essen“ im griechischen Text das Wort für „nagen, zerkauen, zerbeißen“ gewählt. Zerbeißt mich, kaut mich, nagt an mir, verzehrt mich doch! - … eine Zumutung, eine Provokation.

 

Aber dann stelle ich fest, dass mir dieser vermeintliche „Kannibalismus“ doch gar nicht so fremd ist: Die liebende Mutter, die ihrem Kind sicher nichts zuleide tun will, hat es „zum Fressen gern“. Ich sehe am schmachtenden Blick des Bräutigams, dass er seine geliebte Braut am liebsten mit „Haut und Haaren verschlingen“ möchte und an so mancher Nachricht habe ich „eine Weile zu knabbern“, aber: Menschen brauchen nun einmal Nahrung - handfeste Nahrung in Form von Kalorien, Mineralien, Vitaminen, - Nahrung, die das Herz erfreut, - und Nahrung für die Seele. Menschen - das ist meine Überzeugung - brauchen so etwas wie das, was in der Bibel „Himmelsbrot“ genannt ist. Der Mensch lebt nicht vom Brot und nicht von Worten allein. Beides will verinnerlicht, will einverleibt sein.

 

Die evangelische Theologin und Schriftstellerin Dorothee Sölle beschreibt ihren Lebenshunger, den sie mit Worten der biblischen Psalmen zu stillen vermag, folgendermaßen: Die Psalmen sind für mich eins der wichtigsten Lebensmittel. Ich esse sie, ich trinke sie, ich kaue auf ihnen herum, manchmal spucke ich sie aus, und manchmal wiederhole ich mir einen mitten in der Nacht. Sie sind für mich Brot. Und so möchte ich sagen: Esst die Psalmen. Jeden Tag einen vor dem Frühstück oder vor dem Schlafengehen, egal. Haltet euch nicht lang bei dem auf, was ihr komisch oder unverständlich oder bösartig findet, wiederholt euch die Verse, aus denen Kraft kommt…

 

Und ich? Als Theologin und Pfarrerin sehe ich es ganz deutlich: Es gibt es – das Brot für die Seele! Und es hat sehr viel mit dem Leben und Sterben, mit Tod und Auferstehung Jesu zu tun - für mich jedenfalls. Ein Bissen vom „Brot des Lebens“ beim sonntäglichen Abendmahl wird nicht blutiges Fleisch in meinem Mund. Aber es geht mir in Fleisch und Blut über, dass ich ein von Gott geliebtes Geschöpf bin.

 

Jesus selber sagte zu seiner murrenden, mürrischen Zuhörerschar: „Ärgert euch das? Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben“.

 

Er benennt den Ärger, den seine Worte hervorrufen, und verweist auf das, was Bestand haben wird. Ich hole mir also seine Worte immer und immer wieder hervor, wie Dorothee Sölle: Ich esse sie, ich trinke sie, ich kaue auf ihnen herum, manchmal spucke ich sie aus, und manchmal wiederhole ich mir eines mitten in der Nacht. Sie sind für mich Brot. So lassen sich nicht nur Christen und Christinnen noch heute die Liebe Gottes auf der Zunge zergehen.

 

Heute ist für Christinnen und Christen der 4. Sonntag in der Fastenzeit - in der evangelischen Tradition der Sonntag, an dem das Thema „Freude“ in großen Lettern über den Lesungen, Liedern und Gebeten in den Gottesdiensten steht: Laetare.

 

Zuerst war ich skeptisch, aber jetzt ahne ich, wie viel Leben und Lebensfreude zu sprudeln beginnt, wenn ich diese harte Kost durchgekaut, in mich aufgesogen und zu meiner eigenen Überraschung gut verdaut habe. In drei Wochen ist Ostern. Ich freue mich auf Ostern.